„Als normative Grundlage für eine alternativen Drogenpolitik braucht es kaum mehr als den politischen Anspruch Probleme zu mindern ohne neue schaffen zu wollen, einige konsensfähige Grundthesen für einen realistische, evidenz-basierte und humane Drogenpolitik, kombiniert mit einer Ethik der Verantwortung anstelle moralistischer, unrealistischer und paternalistischer Abstinenzideologien.“
Um diese Ethik der Verantwortung und Wirksamkeit statt Ideologie = Gesinnungsethik geht es auch im ersten Kapitel von „Nach dem Krieg gegen die Drogen: Modelle für einen regulierten Umgang“ (die gesamte PDF gibt es hier und weitere Informationen dazu hier)
Die Probleme hier sind hinlänglich bekannt: Cannabis ist praktisch nicht verfügbar bzw. zu teuer, die Konsumenten leiden unter der Verfolgung und ein Eigenanbau ist nicht möglich. Neben den Effekten für die betroffenen Patienten (0,1 – 1% der Bevölkerung könnten profitieren, siehe Grotenhermen 2013) tragen Fortschritte in diesem Bereich auch zu einer Normalisierung beim Umgang mit Cannabis bei. In diesem Themengebiet ist die Zustimmung innerhalb der Bevölkerung sehr groß, die Politik ist trotz Handlungsbedarf praktisch untätig.
Seit 2008 haben 148 Personen einen Antrag für Cannabis zu medizinischen Zwecken beim BfArM gestellt und besitzen eine gültige Ausnahmegenehmigung für den Erwerb von Cannabisblüten aus einer Apotheke. Zudem laufen Prozesse zu abgelehnten Anträgen zum Eigenanbau. Jede Genehmigung mehr erhöht den Druck auf die Politik hier endlich aktiv zu werden. Wenn ihr also unter einer der folgenden Diagnosen leidet oder jemanden kennt, los gehts: Chronische Schmerzen, Multipler Sklerose, Tourette-Syndrom, Depressive Störung, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom, Blepharospasmus, Bronchialkarzinom (Schmerz), Hepatitis C & HIV-Infektion, Hereditäre motorisch-sensible Neuropathie mit Schmerzzuständen und Spasmen, Morbus Crohn, Posner-Schlossmann-Syndrom, schmerzhafte Spastik bei Syringomyelie, Tetraspastik nach infantiler Cerebralparese, Thalamussyndrom bei Zustand nach Apoplex
Mit der Einführung des § 31a BtMG QUELLE und dem Urteil des BverfG 1994 QUELLE würde die Entpönalisierung, also die Möglichkeit eines Absehens von Strafe beim Besitz, Erwerb… einer geringen Menge zum Eigengebrauch geschaffen. Der Begriff der geringen Menge wurde vom Gesetzgeber nicht definiert. Während der BGH sich um eine Festlegung der ebenfalls im Gesetz nicht definierten „nicht geringen Menge“ QUELLE kümmerte, obliegt die Festlegung der „geringen Menge“ in Deutschland praktisch den Landesjustizministern. Ihre Anweisungen an die Staatsanwaltschaften in Form entsprechender Rechtverordnungen QUELLE legen je nach Einschätzung der Landesregierung fest, bis zu welcher Menge, sowie unter welchen Bedingungen das Verfahren eingestellt werden soll oder kann. Die zahlreichen Bedingungen, Ausnahmenregelung für Jugendliche und der Ermessensspielraum der Staatsanwaltschaften sorgen für eine höchst unterschiedliche Rechtspraxis – selbst innerhalb einzelner Bundesländer QUELLE. Bis heute ist auch noch keine bundesweit einheitliche „geringe Menge“ oder gar Rechtspraxis gefunden, wie sie 1994 vom BverfG Quelle eingefordert wurde.
Die „geringe Menge“ für Cannabis schwankt zwischen 6 und 15 Gramm, einzelne Bundesländer haben darüber hinaus auch eine „geringe Menge“ von 0,5 bis 2 Gramm für Heroin, Kokain und Amphetamin sowie eine bestimmte Anzahl Ecstasy Tabletten (MDMA etc.) festgelegt. Während die meisten Bundesländer dies über öffentliche Verordnungen tun, ist dies beispielsweise in Bayern eine vertrauliche Dienstanweisung und in einzelnen Bundesländern gibt es keine formale Verordnung, sondern nur eine etablierte Rechtspraxis. Eine etablierte Rechtspraxis hat auch jede Staatsanwaltschaft für sich bei jenen Substanzen, für die es keine „geringe Menge“ Regelung gibt. Orientierungspunkt ist hier meist die höchstrichterlich festgelegte „nicht geringe Menge“. QUELLE zu Übersicht
Vgl. hierzu: MPI Studie Schäfer
Ebenso führt das Instrumente „Therapie statt Strafe“ nicht zu dem Erfolg:.Öfter ins Gefängnis, seltener in Therapie QUELLE
Die IACM schreibt: Nach historischen Berichten und einigen Kasuistiken ist Cannabis ein gutes Mittel zur Bekämpfung der Entzugssymptomatik bei Benzodiazepin-, Opiat- und Alkoholabhängigkeit. Es wird daher auch gern als Ausstiegsdroge bezeichnet. Dabei spielt möglicherweise sowohl die Verminderung körperlicher Entzugssymptome als auch die Reduzierung der mit der Aufgabe des Suchtmittelkonsums verbundenen stressenden Gefühle durch Cannabis eine Rolle.
Am 12. April 2012 stellte die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) e.V. in Berlin das Jahrbuch Sucht 2012 vor.
Das Jahrbuch Sucht 2012 fasst die aktuellen Statistiken zum Konsum von Alkohol, Tabak, Arzneimitteln, illegalen Drogen sowie zu Essstörungen, Glücksspiel, Delikten unter Alkoholeinfluss und Suchtmitteln im Straßenverkehr zusammen; informiert über die Leistungen der Suchthilfe und Rehabilitation Suchtkranker; behandelt als aktuelle Themen „Suchtmittelkonsum und Prostitution in Deutschland“ sowie „Lobbyismus im Glücksspielbereich“ ; setzt die Serie „Was Sie außerirdischen Besuchern besser nicht zu erklären versuchen“ mit dem Thema „Suchthilfe im Gefängnis“ fort; liefert ein umfangreiches Adressverzeichnis deutscher und europäischer Einrichtungen im Suchtbereich.
Erstmalig erschien das Jahrbuch bei Pabst Sciene Publishers
Neben den Pressevertretern waren mindestens drei Vertreter des Büro der Drogenbeauftragten und ein Vertreter einer Alkoholselbsthilfe Zeitung anwesend.
Neben den obigatorlischen Daten, Zahlen und Fakten, Beiträgen zu einzelnen Suchtstoffe, Suchtformen und ihre Auswirkungen sowie der Suchtkrankenhilfe in Deutschland sind im Jahrbuch auch drei Artikel zu aktuellen Themen zu finden. Neben »Suchtmittelkonsum und Prostitution in Deutschland« und »Lobbyismus im Glücksspielbereich« hat Raphael Gaßmann den vierten Teil seiner Kolumne „Was Sie außerirdischen Besuchern besser nicht zu erklären versuchen …“ zum Thema „Suchthilfe im Gefängnis“ geschrieben. Auf eine Nachfrage meinerseits stellte Gaßmann seine Motivation für das Thema sowie den Inhalt seines Beitrag vor.
Er wählte das Thema weil es unpopulär und für Politiker unwichtig ist, den Wählerstimmen lassen sich mit der Vertretung der Interessen drogenabhängiger Gefängnisinsassen kaum gewinnen. Gefangene haben keine Gewerkschaft oder sonst eine Lobby. Die Gesundheitsversorung in Haft, insbesondere im Bereich Sucht ist katastrophal. Die Lage Anhängiger ist dramatisch dass dagegen geklagt werden müsse. Er berichte von einer Klage in Bayern, die auch erfolgsversprechend sein. Leser dieses Blogs konnten bereits letztes Jahr im Beitrag „Wie kann in der JVA eine Substitution erreicht werden?“ davon lesen. Substitution ist eine erwiesenermaßen sinnvolle Maßnahme und wird als normaler Leistungsanspruch von den Krankenkassen finanziert. Trotzdem wird nur in einem 1/3 Drittel der Gefängnisse überhaupt Substitution angeboten. Nur in einer von 250 Anstalten wird die notwendige Dauersubstitution angeboten. In zwei bis drei Jahren wird es hierzu endlich Urteile geben, Gaßmann bewertete in dem Verweigern dieser Behaldung eine Körperverletzung. Gesundheit muss auch im Gefängnis ein Thema sein. Struktuell sollten besser die Gesundheitsministerien zuständig sein, die derzeitige Betreuung des Themas durch die Justizministerien ist sach- und sachfremd.
Aus der deutschen Übersetzung von des Berichts der Weltkommission für Drogenpolitik aus dem Juni 2011 herausgegeben vom Fachverband Sucht, Zürich 2012, www.fachverbandsucht.ch
Empfehlungen der Global Commission on Drug Policy
1. Das Tabu brechen. Eine offene Diskussion führen und eine Politik fördern, die den Konsum wirksam einschränkt und die Schäden verhindert und verringert, die mit dem Drogenkonsum und der Politik zur Drogenbekämpfung zusammenhängen. Verstärkt in die Forschung und Analyse der Wirkung von verschiedenen politischen Handlungskonzepten und Programmen investieren.
2. Anstelle der Kriminalisierung und Bestrafung von Drogenkonsumierenden Gesundheitsleistungen und Therapieangebote für jene bereitstellen, die sie benötigen.
3. Staatliche Modellversuche für eine gesetzliche Reglementierung von Drogen (zum Beispiel von Cannabis) fördern, die darauf ausgerichtet sind, die Macht des organisierten Verbrechens zu untergraben und die Gesundheit und Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten.
4. Für das Erfassen der Fortschritte bessere Messsysteme, Indikatoren und Ziele einführen
5. Die verbreiteten falschen Vorstellungen über Drogenmärkte, Drogenkonsum und Drogenabhängigkeit in Frage stellen, statt sie zu bekräftigen.
6. Jene Länder, die (trotz der heute vorliegenden Erkenntnisse) weiterhin vorwiegend in Strafverfolgungsmassnahmen investieren, sollten ihre repressiven Aktivitäten auf die gewalttätige organisierte Kriminalität und die Drogenhändler konzentrieren, um die schädlichen Auswirkungen im Zusammenhang mit dem illegalen Drogenmarkt zu verringern.
7. Alternative Strafzumessungen für Kleindealer und erstmalige Dealer fördern
8. Mehr Mittel in die evidenzbasierte Prävention investieren, mit spezifischer Ausrichtung auf junge Menschen
9. Eine breite und leicht zugängliche Palette von Therapie- und Betreuungsangeboten für Drogenabhängige bereitstellen, einschliesslich Substitutionstherapie und heroingestützter Behandlung, mit spezieller Berücksichtigung von besonders gefährdeten Personen, einschliesslich von Personen in Strafanstalten und anderen geschlossenen Einrichtungen.
10. Das System der Vereinten Nationen muss bei der Reform der weltweiten Drogenpolitik eine Führungsrolle übernehmen. Es muss einen wirksamen, evidenzbasierten Ansatz fördern, die Staaten bei der Entwicklung einer Drogenpolitik unterstützen, die auf ihre Verhältnisse abgestimmt ist und ihre Bedürfnisse abdeckt, und die Kohärenz zwischen den verschiedenen Stellen der Vereinten Nationen sowie den Strategien und Übereinkommen im Drogenbereich sicherstellen.
11. Dringend Massnahmen treffen: Der Krieg gegen die Drogen ist gescheitert, die Drogenpolitik muss jetzt geändert werden.
Aus der deutschen Übersetzung von des Berichts der Weltkommission für Drogenpolitik aus dem Juni 2011 herausgegeben vom Fachverband Sucht, Zürich 2012, www.fachverbandsucht.ch
Grundsätze der Global Commission on Drug Policy
1. Die Drogenpolitik muss auf soliden empirischen und wissenschaftlichen Belegen beruhen. Vorrangiger Massstab für den Erfolg sollte die Minderung des Schadens für die Gesundheit, die Sicherheit und das Wohl der einzelnen Menschen und der Gesellschaft sein.
2. Die Drogenpolitik muss auf den Menschenrechten und auf den Grundsätzen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit beruhen. Wir sollten aufhören, die Menschen zu stigmatisieren und auszugrenzen, die bestimmte Drogen konsumieren oder die auf den unteren Stufen des Anbaus, der Produktion und des Vertriebs beteiligt sind, und wir sollten Drogenabhängige nicht als Kriminelle, sondern als kranke Menschen behandeln.
3. Die Erarbeitung und Umsetzung der Drogenpolitik sollte eine Aufgabe sein, die weltweit gemeinsam wahrgenommen wird; dabei sollten jedoch auch die unterschiedlichen politischen, sozialen und kulturellen Verhältnisse berücksichtigt werden. Die Politik sollte den Rechten und Bedürfnissen der Menschen Rechnung tragen, die durch die Produktion, den illegalen Han-del und den Konsum von Drogen beeinträchtigt werden, wie dies im Übereinkommen von 1988 gegen den unerlaubten Verkehr mit Betäubungsmitteln ausdrücklich anerkannt wird.
4. Es muss eine umfassende Drogenpolitik angestrebt werden, die die Familien, die Schulen, die Fachleute für öffentliche Gesundheit und für Entwicklungszusammenarbeit sowie die führenden Kräfte der Zivilgesellschaft in Partnerschaft mit den Strafverfolgungsbehörden und weiteren massgebenden staatlichen Stellen einbezieht.
Erfahrene Konsumenten (> 25-maliger Konsum), bezogen auf die Lifetime-Konsumenten
Konsum im letzten Monat, bezogen auf die Lifetime-Konsumenten
Mehr als 20 Konsumtage im letzten Monat, bezogen auf die vorherige Spalte
Kokain
2,1
22,7
10,0
1,8
Heroin
0,3
24,3
10,2
Keine Angaben
Tabelle 1: Prävalenz und Häufigkeit des Konsums unerlaubter Drogen in den Niederlanden, in Prozentwerten. Quelle: Abraham MD, Cohen PDA, Van Til RJ, De Winter MAL. Licit and illicit drug use in the Netherlands 1997. Amsterdam: CEDRO 1999. In Schippers, G. M. & Cramer, E.
Von 100 Probierern werden nicht einmal ein Viertel erfahrene Konsumenten. Jeder Zehnte hat auch im letzten Monat konsumiert. Nur jeder 55. hatte mehr als 20 Konsumtage im letzten Monat (bei Kokain, für Heroin gibt es in dieser Untersuchung leider keine Angaben) und damit vermutlich ein problematischen Konsum.
Von 100 erfahrenen Konsumenten haben 42-44 im letzten Monat konsumiert, jeder Achte hat mehr als 20 Konsumtage im letzten Monat (wieder nur bei Kokain).
Von 100 im letzten Monat Konsumierenden haben nicht einmal 20% mehr als 20 Konsumtage im letzten Monat (wieder nur bei Kokain).
Selbst wenn also alle Konsumenten mit mehr als 20 Konsumtagen im letzten Monat und noch einmal so viele Konsumenten aus der Gruppe ohne mehr als 20 Konsumtagen einen dauerhaft unkontrollierten Konsum pflegen würden, wäre dies klar die Minderheit der Konsumenten.
Seit 2008 haben 262 Personen einen Antrag für Cannabis zu medizinischen Zwecken beim BfArM gestellt, 173 wurde eine Ausnahmegenehmigung für den Erwerb von Cannabisblüten aus einer Apotheke erteilt. 148 dieser Genehmigungen sind noch gültig. 49 Anträge werden derzeit bearbeitet, 45 für den Erwerb und 4 für den Anbau von Cannabis.
Abgelehnt wurden 22 Anträge für den Erwerb und 19 Anträge für den Anbau von Cannabis.
Chronische Schmerzen – 90 Fälle,
Multipler Sklerose – 31 Fälle,
Tourette-Syndrom – 15 Fälle,
Depressive Störung – 10 Fälle
Zudem wissen wir aus den Daten von Ende 2010 dass es folgende Diagnosen gab:
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom – zwei Fälle,
Blepharospasmus – ein Fall,
Bronchialkarzinom, Schmerz – ein Fall,
Hepatitis C, HIV-Infektion – ein Fall,
Hereditäre motorisch-sensible Neuropathie mit Schmerzzuständen und Spasmen – ein Fall,
Morbus Crohn – ein Fall,
Posner-Schlossmann-Syndrom – ein Fall,
schmerzhafte Spastik bei Syringomyelie – ein Fall,
Tetraspastik nach infantiler Cerebralparese – ein Fall,
Thalamussyndrom bei Zustand nach Apoplex – ein Fall.
Quelle: Schriftliche Anfrage im März 2013, Arbeitsnummer 3/243, Frage von Frank Tempel, Antwort von Ulrike Flach