Hanfjournal #187 . August . 2015 . Seite 8
„Einfach mal nicht unter Strom zu stehen“ Mit Cannabis und Ritalin gegen ADHS
von Maximillian Plenert
Medizinisches Cannabis hat viele Einsatzgebiete: Von Kopfschmerzen über entzündliche Darmerkrankungen und Depressionen bis hin zum Tourettesyndrom. Das lange Zeit verrufene Kraut könnte für vielen Menschen ein Segen sein. Dennoch ist es illegal und der Zugang zu Cannabis als Medizin versperrt. Der Weg zu einer Ausnahmegenehmigung ist für Patienten oft entweder gar nicht erst bekannt oder mit zu vielen Hürden belegt. Deutschlandweit gibt es derzeit nur etwa 400 Patienten, die ihre Krankheiten mit medizinischem Cannabis aus der Apotheke behandeln dürfen. 18 Patienten leben in Berlin, Maximilian Plenert ist einer von ihnen. Der Diplomphysiker bekam vor zwei Jahren die Diagnose ADHS, inzwischen darf der DHV-Mitarbeiter auch Cannabis aus der Apotheke kaufen.
Wie zeigte sich das ADHS bei dir?
Schon als Kind war ich unkonzentriert und schnell aufbrausend. Seit ich denken kann, fällt es mir schwer, mich auf einzelne Dinge zu konzentrieren oder Geräusche und Gespräche auszublenden. Mit vielen Menschen um mich herum fühlte ich mich schnell erschöpft und überfordert. Während andere junge Menschen nach getaner Arbeit das Partyleben genossen haben, zog ich mich erschöpft zurück – ob nun nach der Schule, Sitzungen der Grünen Jugend oder eben meinem Job beim Deutschen Hanfverband.
Also dann direkt ins Lummerland?
Leider nein, trotz aller Erschöpfung lag ich nächtelang wach und mein Kopf fuhr ein Gedankenkarussell. Das machte ein normales Sozialleben schwerlich möglich, mit einem festen Job und Familie wurde es dann nochmal heftiger.
Eine ADHS-Diagnose…
ADHS war in meiner Kindheit in Deutschland noch quasi unbekannt. Noch mehr als andere psychischen Erkrankungen ist ADHS bei Erwachsenen noch immer stark unterdiagnostiziert. Unzählige Menschen leiden deswegen – trotz guter Behandlungsmöglichkeiten. Eine häufige Konformität bei ihnen sind Probleme mit Drogen – in einigen Fällen sicher das Ergebnis einer mehr oder weniger unbewussten Selbstmedikation mit Cannabis und Amphetaminen.
Die Geschichte mit dir und dem Cannabis beginnt aber schon lange vor der Diagnose ADHS.
Ja, wie viele begann ich als Jugendlicher Cannabis zu konsumieren. Ich kiffte eher wenig, ich definierte mich nie als Kiffer und hatte auch längere Phasen ohne Cannabis. Eigentlich machte ich mir nie viele Gedanken darum. Im Nachhinein scheint es logisch, dass ich nie richtig aufhörte, denn schon damals nutzte ich es – wenn auch unbewusst – als Medizin. Im Nachhinein finde ich es erstaunlich, wie lange ich Cannabis nur als Rausch- und Genussmittel wahrgenommen habe. Zu Cannabis als Medizin hatte ich keinerlei persönlichen Bezug.
Wie zeigte sich die medizinische Nutzung damals?
Ich kann nach all den Jahren nicht mehr konkret sagen: in dieser Situation half es meiner Konzentration oder hier beruhigte es mich. Ein Effekt, der bis heute anhält, ist allerdings die Reduktion meines Alkoholkonsums, das kann ich definitiv sagen. Auch heute ist es noch so, dass ich weniger bis gar keinen Alkohol trinke, wenn ich kiffe. Bei einer Pause steigt mein Alkoholkonsum sofort an. Dieser war auch schon in meiner Jugend nicht problematisch, wenn ich allerdings an einige meine Freunde denke, z.B. aus der Jugendfeuerwehr, dann weiß ich, dass es hätte auch anders sein können.
Deine ADHS-Diagnose erhieltst du dann erst mit 30 – wie kam es dazu?
Interessanterweise hatten mich schon vor der Diagnose einige ADHSler darauf angesprochen, ich hab das damals erst gar nicht richtig verstanden. Nachdem ich meine Kindheit und Jugend trotz ADHS hinbekommen hatte, wurden die Probleme durch einen festen Job und meine Familie stärker. Ich hatte Konzentrationsschwierigkeiten, was sich bei der Arbeit deutlich zeigte, und oft massive Stimmungsschwankungen, im Gegensatz zu früher konnte ich mich aber nicht mehr zurückziehen. Ein normales Familienleben mit Kindern wird sehr schwierig, wenn man eine derartig kurze „Lunte“ hat. Wenn meine Frau schon damit Probleme hatte, wie sollten es denn meine kleinen Kinder verstehen, wieso Papa plötzlich so wütend wird?
Nach deiner Diagnose hast du dann Ritalin bekommen. Hat es geholfen?
Ja, Medikinet, so heißt mein Medikament, hat die Probleme durch mein ADHS deutlich gemindert. Die Wirkung kann man an meiner Orthographie direkt messen, fragen sie mal meine Frau. Der Alltag mit dem Medikament… Mein Tagesablauf ist stark an das Medikament gekoppelt. Ich nehme es direkt morgens, weil Kinder fertigmachen und zur Kita bringen volle Konzentration erfordert, ebenso muss ich die Wirkung so planen, um beim Abholen nicht gerade in ein Loch zu fallen. Durch die stundenlange Wirkung des Methylphenidat muss ich immer planen. Gerade bei Abendterminen ist es immer ein Abwägen zwischen „unkonzentriert sein beim Termin“ und dem „danach noch wachliegen“, je nachdem wie früh oder spät ich es nehme.
Hast du Nebenwirkungen?
Die direkten Nebenwirkungen sind nicht immer angenehm, aber das ist das kleinere Problem. Die Kehrseite der Medallie ist ein ständiges unter Strom stehen, was mittelfristig an der Kondition zehrt. Ich bin abhängig von Medikinet, das ist trotz seiner Hilfe keine angenehme Situation. Lücken in der Wirkung am Abend oder tagsüber wenn ich zu spät nachdosiere, lassen einen regelmäßig in Löcher fallen. Sie sind nicht tief, aber es ist anstrengend. Tagsüber habe ich kaum Hunger, dafür beginnt dann nachts der Magen zu knurren.
Der Schritt von Ritalin zur Ausnahmegenehmigung…
… war die logische Konsequenz. Es ging alles sehr schnell, die Veränderungen waren prägend für mich. Mit der ADHS-Diagnose begann ich mein bisheriges Leben neu zu reflektieren und ich verstehe mich nun auch selbst besser. Innerhalb weniger Jahre wurde – parallel zum Berufseinstieg und der Gründung einer Familie – aus dem Hobby Kiffen eine tagtägliche Medikation einer psychischen Erkrankung. Auch beruflich wurde Cannabis als Medizin plötzlich vom Randthema zu meinem Arbeitsschwerpunkt, inklusive der persönlichen Betroffenheit und dem Kontakt zu unzähligen Patienten und ihren Schicksalen. Weil Cannabis nun Medizin ist, erlebe ich gerade meine eigene Legalisierung, ich spreche öffentlich darüber, ich kaufe legal ein…
Nachdem das Cannabis nun aus der Apotheke kommt, wie wirkt es auf deine Krankheit?
Es hilft bei Einschlafproblemen, sei es wegen des Ritalins oder einfach, weil es ein turbulenter Tag war. Durch Cannabis kann ich etwas zur Ruhe kommen, es dämpft die Überaktivität und Hektik. Davon profitieren insbesondere mein soziales Umfeld und meine Familie. Mit Cannabis kann ich auch mal Ritalin-Pausen einlegen, um einfach mal nicht unter Strom zu stehen. Damit ergänzen sich Cannabis und Ritalin von ihren Wirkungen und Einsatzmöglichkeiten – soweit ich das bisher bewerten kann. Bisher? Erst seitdem ich es bewusst als Medizin einnehme, achte ich genauer auf diese Wirkungen, während ich parallel auch noch immer dabei bin, mein ADHS zu verstehen.
Welche Fragen sind für dich noch offen?
Eine Menge! Allem voran weiß ich bisher noch nicht, welche Sorte mir am besten hilft. Über die Apotheke hatte ich erstmals die bewusste Wahl zwischen unterschiedlichen Gehalten von THC und CBD sowie zwischen Indica und Sativa. Ich habe je nach Sorte eine unterschiedliche Wirkung und sie helfen auch alle bei mir. Welche Aspekte durch viel CBD oder Indica statt Sativa konkret besser oder schlechter beeinflusst wurden, vermag ich noch nicht zu sagen. Die Studienlage hierzu ist auch sehr dünn. Aus der Sortenauswahl ergaben sich auch neue Einsatzmöglichkeiten für Cannabis. Im Gegensatz zu anderen Cannabiskonsumenten kann ich nur schwerlich direkt morgens konsumieren und danach produktiv arbeiten. Die stark CBD-haltige Sorte Bediol verursacht aber kein High und ich versuche nun immer tagsüber etwas Ritalin durch Bediol zu ersetzen. Ein Ergebnis habe ich noch nicht, aber ich denke die Eigenschaften von Bediol machen es zu einer ganz eigenen Einsatzmöglichkeit von Cannabis als Medizin, die Menschen zusagen kann, die mit THC im Alltag zu viele Nebenwirkungen haben. Als Nächstes werde ich einmal die neue Sorte Bedrolite testen. Diese enthält quasi überhaupt kein THC, nur CBD – damit sollte ich eher Unterschiede feststellen. Um eine Ausnahmegenehmigung zu erhalten, muss man „austherapiert“ sein, erst wenn alle anderen Behandlungsformen zu wenig Wirkung zeigen und/oder zu viele Nebenwirkungen haben, kommt Cannabis in Frage.
Die Nebenwirkungen von Ritalin hast du schon beschrieben, welche Medikamente hast du noch probiert?
„Austherapiert“ – das heißt man muss alles Mögliche ausprobieren und schauen, ob es nicht noch eine Lösung vor dem Cannabis gibt – und das obwohl ich schon wusste, was mir hilft. AHDS ist hier eine „einfache“ Diagnose, da nur einige wenige Medikamente hier in Frage kommen. Ich testete „Strattera“ und „Attentin“, der Wirkstoff Dexamphetamin bezeichnet ein Isomer des Amphetamin – also dem, was gemeinhin als Speed bezeichnet wird. Strattera zeigte bei mir keine Wirkung. Die Wirkung von Attentin ähnelte der von Medikinet, hatte aber mehr Nebenwirkungen und die positive Wirkung war nicht so ausgeprägt. Die körperlichen Wirkungen wie Schwitzen, Schlafstörungen und körperliche Unruhe waren ausgeprägter. Die Fokussierung war nicht so gut wie bei Medikinet. Die Kosten für die beiden Medikamente musste ich übrigens selbst tragen.
Also Speed nehmen müssen, um als Ultima Ratio Cannabis nehmen zu dürfen…
Daneben gibt es noch eine Reihe anderer Medikamente, die bei ADHS eingesetzt werden. Sie sind aber die „Dritte Wahl“, da sie in Deutschland nicht für die Diagnose ADHS zugelassen sind und die Studienlage unzureichend ist. In den USA wird unter anderem Methamphetamin eingesetzt, „Crystal Meth“ also – das würde man als immerhin noch „verkehrsfähige“ Substanz laut BtMG rein rechtlich gesehen über eine Ausnahmegenehmigung deutlich leichter bekommen als Cannabis, das laut Betäubungsmittelgesetz „nicht verkehrsfähig“ und damit deutlich härter reguliert ist.
Was ist dein Rat an alle Menschen, denen Cannabis als Medizin helfen könnte?
Beantragt eine Ausnahmegenehmigung, es ist euer gutes, hart erkämpftes Recht! Mit einer Ausnahmegenehmigung müsst ihr euch nicht mehr verstecken. Damit wird anerkannt, ihr seid keine irren Kiffer. Ihr seid der lebende Beweis für die Wirksamkeit von Cannabis als Medizin, das ist ein Schritt für euch und auch ein Schritt für die Sache!