Von der Polizei festgenommen, kurz danach gestorben – das passiert auch in Deutschland leider mehr als nur in Einzelfällen, sagt Kurt Trübner vom Universitätsklinikum Essen. Der bundesweit bekannte Fall Oury Jalloh ist leider nur die Spitze des Eisberges. Der Deutschlandfunk hat hierzu gestern einen Betrag veröffentlicht:
Beim „Tod in Obhut des Staates“ geht es um mehrere unterschiedliche Szenarien. Ihre Gemeinsamkeit ist die Verantwortung des Staates, insbesondere von Polizisten und den Mitarbeitern von Haftanstalten, insbesondere von Ärzten.
- 1. Bereich: Suizide
„In der Haft sind es natürliche Todesfälle zur Hälfte und die andere Hälfte Suizide, da steht an erster Stelle das Erhängen. Hier muss natürlich auch die entsprechende Haftanstalt dafür sorgen, dass diese Möglichkeit nicht gegeben ist.“ – Kurt Trübner
- 2. Bereich: „positionelle Asphyxie“
Der so genannten lagebedingten Erstickungstod beschreibt das Ergebnis wenn (mehrere) Polizisten Menschen bei einer Verhaftung niederringen, ihn auf den Bauch liegend fixieren und mit ihrem Gewicht weiterdrücken und ggf. wenn Pfefferspray zum Einsatz kommt. Der physikalische Druck auf einen Menschen in dieser Lage sowie die chemische Wirkung des Pfefferspray können zu einem Kollaps und dem Tod führen. Juristische Folgen haben solche Ereignisse in der Regel nicht, obwohl der Zusammenhang ein sehr direkter ist. Trübner ergänzt:
„Es ist, glaube ich, auch wichtig, wenn die Polizeibeamten das wissen, dass eine gewisse Gefahr ausgeht, wenn Menschen von ihnen eben arretiert werden, wenn sie in Bauchlage arretiert werden, wenn sich die Polizisten auf den Rücken der Personen knien oder setzen.“
- 3. Bereich: Mangelnde Untersuchungen bei der Ingewahrsamnahme
Beispielsweise alkoholisierte oder unter anderen Drogen stehende Personen werden in der Regel kaum ordentlich medizinisch untersucht bevor sie über Nacht in die Zelle gebracht werden. Ein „Rausch ausschlafen“ kann hier tödlich enden, sei es durch die konsumierten Substanzen oder übersehende Verletzungen beispielsweise am Kopf durch Stürze etc.
- 4. Bericht: Überdosis nach Haftentlassung
„Durch unsere Untersuchungen konnten wir herausbekommen, dass es eben viele Intoxikationen waren, das sind ehemalige Drogensüchtige, die eben in der Haft mehr oder weniger abstinent waren und dann nach kurzer Zeit, als sie wieder draußen waren, relativ schnell Drogen zu sich genommen haben, sie waren entwöhnt, sie waren es nicht mehr gewöhnt, die entsprechende Drogenmenge und sind dann relativ schnell verstorben.“ – Kurt Trübner
Hier heißt eine Lösung Naloxon, ein Antidot gegen Opioidüberdosierungen. Während in den USA Streifenpolizisten damit ausgerüstet sind und in Schottland jährlich 4000 Gefangene bei ihrer Entlassung mit einer „Take home“-Naloxon-Ausrüstung ausgerüstet werden, spielt dieses Mittel in Deutschland leider noch kaum eine Rolle. Auch die Nichtverfügbarkeit von Substitution in Haft spielt hier eine große Rolle bei der Rückbildung der Toleranz. Nur ein Bruchteil der Abhängigen erhalten im Gefängnis diese Gesundheitsleistung, die ihnen zusteht – auch weil sie in Freiheit eine reguläre Leistung der gesetzlichen Krankenkassen darstellt. Gerade in Bayern gibt es praktisch keine Substitutionbehandlung, während die Lage in Bremen, Berlin, Hamburg und teilweise in NRW etwas besser aussieht. Eine Ursache ist hier auch dass drogenabhängige Strafttäter eine Gruppe darstellen die praktisch keinerlei Lobby besitzt und die schwer in der Lage sind ihre Rechte auch einzufordern und einzuklagen.
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