OLG Hamm hebt Urteil wegen einer „geringen Menge“ Cannabis auf

§ 29 BtMG (5) Das Gericht kann von einer Bestrafung absehen, wenn...
§ 29 BtMG (5) Das Gericht kann von einer Bestrafung absehen, wenn…

Das OLG Hamm hat in einem aktuellen Urteil 2 RVs 30/15 OLG Hamm eine Verurteilung wegen Cannabisbesitz des Amtsgerichts Iserlohn aufgehoben, weil das Amtgericht bei seinem Urteil die Möglichkeit eines „Absehens von Strafe“ nicht geprüft hat. Das Urteil in erster Instanz sah für den Anklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen eine Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10,00 € vor. Nun kommt es nach der Aufhebung des Urteils zu einer erneuten Verhandlung und Entscheidung beim Amtsgericht. Das Verfahren ging direkt zum Oberlandesgericht, weil die Instanz des Landgerichtes durch eine Sprungrevision übergangen werden konnte.

Grundsätzliches zur Rechtslage von Drogen wie Cannabis

Der Besitz jeder noch so kleinen Menge Betäubungsmittel ist in Deutschland strafbar. Das Betäubungsmittelgesetz sieht im § 31 a und § 29 Abs. 5 BtMG das Absehen von einer Strafe unter bestimmten Bedingungen vor. Dieser Paragraph ist eine Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes, welches besagt dass „die Schwere einer Straftat und das Verschulden des Täters zu der Strafe in einem gerechten Verhältnis stehen müssen.“ Die meisten Anzeigen wegen einer „geringen Menge“ Cannabis werden von den Staatsanwaltschaften erledigt, ohne dass es zu einer Gerichtsverhandlung und einem Urteil kommt. Falls es jedoch zu einer Verhandlung vor dem Amtsgericht kommen der wenig bekannte Absatz 2 des § 31a BtMG oder § 29 Abs. 5 BtMG zur Anwendung. Dieser ermöglicht es dem Gericht bei einer bereits erhobenen Klage das Verfahren einzustellen bzw. in seinem Urteil von einer Strafe abzusehen „wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre, kein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung besteht und der Täter die Betäubungsmittel lediglich zum Eigenverbrauch in geringer Menge anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt, sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt.“ Im Gegensatz zu den Staatsanwaltschaften, denen nach Absatz 1 § 31a BtMG der gleiche Auftrag zukommt, müssen die Gerichte ihre Urteile sauber begründen.

Bedeutung im konkreten Fall

Die Richter am Oberlandesgericht in Hamm begründen ihren einstimmigen Beschluss damit dass „Das angefochtene Urteil ist im Strafausspruch rechtsfehlerhaft, da dem Senat anhand der insoweit lückenhaften Strafzumessungserwägungen die Prüfung nicht möglich ist, ob das Berufungsgericht ermessensfehlerfrei von der Möglichkeit eines Absehens von Strafe gemäß § 29 Abs. 5 BtMG keinen Gebrauch gemacht hat. Das Amtsgericht hat die Voraussetzungen und Rechtsfolgen dieser Vorschrift nicht erörtert.“ Das Amtsgericht hätte dies angesichts der sehr geringen Mengen von 0,4 und 0,7 Gramm erwägen müssen. Problematisch an dem Urteil sei dies insbesondere da der Angeklagte nicht vorbestraft ist und keine konkrete Anhaltspunkte für eine etwaige Fremdgefährdung wie Drogenhandel ersichtlich waren.

Das Portal anwalt24.de schreibt zum weiteren Gang des Verfahrens zurück ans Amtsgericht „Dort muss der Fall nun erneut geprüft und insbesondere die Regelung zu geringen Mengen beachtet werden. Es steht zu erwarten, dass in dem Fall von der Strafe abgesehen werden wird.“ und rät „Bei Strafbefehl oder Anklage wegen Marihuana-Besitzes Anwalt einschalten“. Diesen Rat möchte ich auch als Nicht-Anwalt ausdrücklich unterstützen. Dieses Urteil zeigt einmal mehr dass man sich nach einer Strafanzeige nicht mit dem Strafbefehl „zufrieden“ geben sollte, sondern insbesondere bei sehr geringen Mengen und keinen Vorstrafen klagen sollte – je weiter man es schafft, desto geringer ist die zu erwartende Strafe.

Die Staatsanwaltschaften handeln übrigens als weisungsgebundene Beamte meist auf Basis der Verordnungen der Länder zur Anwendung des §31 a BtMG Absatz 1 „Absehen von der Verfolgung“. Je nach Menge und Rahmenbedingungen kommt es dann zu einer bedingungslosen Einstellung des Verfahrens oder unter Auflagen wie Sozialstunden und verordneter Drogenberatungen. Findet der §31 a BtMG keine Anwenudung kann die Staatanwaltschaft mit einem Strafbefehl auch härtere Strafen beantragen. Zu einer Verhandlung und einem Urteil durch einen Richter kommt es nur bei einem Widerspruch oder falls die Delikte auch den Rahmen der Anwendung eines Strafbefehl überschreiten.

Update: Udo Vetter schreibt in seinem Blog zu diesem Urteil: Der Fall zeigt sehr schön, dass der stramme Verurteilungskurs vieler Gerichte auch bei kleinsten Mengen Marihuana schlicht gesetzeswidrig ist. Zumindest so lange, wie sich das Gericht nicht im konkreten Fall die Mühe macht nachvollziehbar zu begründen, warum trotz geringer Menge kein Absehen von Strafe in Betracht kommen soll (Aktenzeichen 2 RVs 30/15).