Stellungnahme zu den Anträgen zum Thema Cannabis als Medizin im Rahmen der Anhörung des Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages

Einzelsachverständiger Maximilian Plenert (Akzept e.V.) sowie Selbsthilfenetzwerk Cannabis als Medizin

Stellungnahme

Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften“ BT-Drucksache 18/8965 sowie

Antrag der Fraktion DIE LINKE. „Zugang zu Cannabis als Medizin umfassend gewährleisten“ BT-Drucksache 18/6361

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

zu den Anträgen zum Thema Cannabis als Medizin im Rahmen der Anhörung des Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages am 21. September 2016 nehme ich und das Selbsthilfenetzwerk Cannabis als Medizin hiermit gerne Stellung.

1. Zur Person und Akzept e.V.

Ich bin Mitglied im Vorstand von Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik – akzept e.V. sowie Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin so wie dessen Selbsthilfenetzwerk (SCM). Angestellt bin ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Deutschen Hanfverband.

Als Patient mit Ausnahmegenehmigung zur medizinischen Verwendung von Cannabis bin ich selbst Betroffener der aktuellen und zukünftigen Rechtslage. U.a. als Leiter einer Berliner Selbsthilfe Gruppe zum Thema Cannabis als Medizin, bin ich regelmäßig mit zahlreichen kranken Menschen im Kontakt und kann aus erster Hand über Alltag, Probleme und Schicksale berichten.

Seit über 25 Jahren tritt akzept e.V. für eine Normalisierung im Umgang mit illegalisierten Drogen ein. Als Dachverband zählen wir neben Einrichtungen der Drogenhilfe, auch Organisationen der von Drogenpolitik Betroffenen und Konsumentinnen wie AIDS-Hilfen, Selbsthilfegruppen und Elternorganisationen zu unseren Mitgliedern.

Zusammen mit der Deutschen AIDS-Hilfe, dem JES Bundesverband e.V. sowie zahlreichen weiteren Organisationen und Einzelpersonen geben wir seit 3 Jahren den alternativen Sucht- und Drogenbericht als kritischen Gegenentwurf zum offiziell Bericht der Bundesregierung heraus. Das Thema „Cannabis als Medizin“ wird regelmäßig darin behandelt.

 

2. Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung

Das Gesetz hat seiner grundsätzlichen Intention nach das Potenzial Deutschland zu einer führenden Nationen im Bereich Cannabis als Medizin zu machen. Für die Praxis werden mit diesem Gesetz jedoch erneut Hürden errichtet, die eine angemessene Versorgung von Patienten mit Cannabis oder Cannabisprodukten kaum möglich machen. Der „Schwarze Peter“ wird von der Politik zu den Ärzten, Krankenkassen sowie deren medizinischen Dienst geschoben. Wenn am Gesetz nicht nachgebessert wird, könnte es ähnlich wie bei der Diamorphinbehandlung dazu führen, dass die Anwendung von Cannabis als Medizin zwar legal wäre, aber praktisch kaum zum Einsatz kommen kann.

Anlass für den Gesetzentwurf ist leider nicht die späte Erkenntnis der Bundesregierung, dass Cannabis für viele Schwerkranke eine mögliche Therapieoption ist. Der Gesetzentwurf wird als alternativlos angesehen, um den Eigenanbau durch Patienten zu verhindern. Diejenigen Verantwortlichen, die ein solches Cannabis-Eigenanbau-Verhinderungsgesetz befürworten werden sich darauf gefasst machen müssen, dass Gerichte auch künftig die Voraussetzungen des Urteils des Bundesverwaltungsgerichtes anerkennen werden und Genehmigungen für den Eigenanbau durch Patienten erteilt werden.

 

3. Zum Antrag „Zugang zu Cannabis als Medizin umfassend gewährleisten“

Die LINKE greift in ihrem Antrag zahlreiche wichtige Themen auf, auch wenn Teile des Antrages durch den Regierungsentwurf berücksichtigt werden. Die Regierung muss Sorge dafür tragen, dass Patienten, die Cannabis gebrauchen anders als heute zuverlässig vor polizeilichen Kontrollen aufgrund ihrer Medizin geschützt werden. Insbesondere im Bereich Führerscheinrecht muss in der Praxis eine Gleichbehandlung von Cannabis als Medizin mit vergleichbaren Medikamenten sichergestellt werden.

Die LINKE fordert zudem wie auch die Regierung in ihrem ersten Entwurf eine vollständige Umstufung von Cannabis in die Anlage III BtMG. Diese Umstufung von Cannabis wäre ein gewaltiger und begrüßenswerter Schritt zur Normalisierung und würde eine erhebliche Verbesserung für die medizinische Verwendung sowie die Erforschung von Cannabis mit sich bringen, ohne am Verbot außerhalb dieses Einsatzgebietes etwas zu ändern.

Die Notwendigkeit, Forschung im Bereich Cannabis als Medizin aktiv zu fördern, ist unabdingbar.

 

4. Zu Cannabis als Medizin

Cannabis ist kein Wundermittel, sondern ein eher schwaches, aber vielfältig wirksames Medikament mit wenigen – nur leichten Nebenwirkungen. Die Stärke von Cannabis liegt nicht in der spezifisch hohen Wirksamkeit bei einer bestimmten Diagnose, sondern in ihrem komplementären Wirkungen bei mehreren gleichzeitigen Leiden. In Summe ergibt sich ein sehr gutes Verhältnis von Wirkung zu Nebenwirkungen und Risiken. Leider wird ein solches Wirkprofil bei klinischen Studien und Nutzenbewertungen kaum erfasst.

Cannabis kann helfen andere Medikamente zu ersetzen und damit auch deren einhergehende Nebenwirkungen zu vermeiden. Es kann anstelle von Medikamenten genutzt werden, welche gefährliche Wechselwirkungen erzeugen können oder wenn spezielle Unverträglichkeiten bestehen. Durch dieses bessere Verhältnis von Wirkungen zu Nebenwirkungen bei der Gesamttherapie kann die Compliance erheblich gesteigert werden. Dies ist insbesondere bei chronischen Krankheiten eine therapeutisch überaus wertvolle Wirkung.

 

4.1. Studienlage und der Einsatz von Cannabis als Medizin

Die schlechte Studienlage wird sich voraussichtlich erst mittelfristig bessern. Mit dem Einsatz von Cannabis als Medizin in der Praxis sollte allerdings nicht auf weitere Studien hingewartet werden. Die Evidenz der gelebten Therapieerfolge von Millionen medizinischen Cannabis-Nutzern weltweit ist ausreichend Grundlage für einen wohlüberlegten Einsatz schon heute.

Angesichts des Potenzials von Cannabis als Medizin und der Möglichkeit die Leiden von Schwerkranken zu lindern, wäre es ethisch unverantwortlich auf weitere Studien zu warten, und das vorhandene medizinische Potenzial nicht zu nutzen. Unter Beachtung aller Regeln ärztlicher Kunst sollte – sofern der Einsatz bei einem konkreten Patienten plausibel ist – oder wie es im Gesetzentwurf heißt: „eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht“ – ein Therapieversuch unternommen werden.

Dies gilt insbesondere bei „austherapierten“ und schwerkranken Patienten, ebenso aber für zahllose Kranke, die nicht als austherapiert gelten und nicht sämtliche gängigen Medikamente mit unwägbaren Nebenwirkungen durchprobieren wollen, bevor sie Cannabis erhalten. Die Risiken durch einen Therapieversuch sind in der Regel überschaubar und im Vergleich zum möglichen Therapieerfolg bei nur geringen Nebenwirkungen das geringere Übel.

Für viele Diagnosen wird es vermutlich nie klinische Studien durch die Pharmaindustrie geben, beispielsweise wenn Cannabis nur für eine bestimmte Subgruppe von Vorteil – bezogen auf alle Patienten jedoch weniger wirksam ist als andere Mittel.

 

5. Zu den Details im Gesetz

Die Therapieentscheidung für Cannabis als Medizin muss bei Arzt und Patient liegen. Die Kostenübernahme sollte bei dabei regelhaft erfolgen. Nach heutigem Stand kann auch aus Sicht des SCM bestätigt werden, dass der Einsatz von Cannabis sich gesundheitlich und sozial lohnt und dies bereits vielfach bewiesen hat. Fakt ist allerdings auch:, dass sofern ab dem 1.1.2017 das Gesetz wie geplant beschlossen wird, die Rechtslage deutlich weiter sein wird als die widerstrebende Stimmung der Krankenkassen, der Ärzte und Apotheker oder sonstiger Verbände. Trotz klar formulierter Ziele des „Cannabis als Medizin“-Gesetzes haben sich die Krankenkassen bislang nur äußerst skeptisch zum Thema Kostenerstattung geäußert.

 

5.1. Teilnahmezwang und Forschungsdefizit

Der faktische Zwang im Gegenzug für eine Kostenerstattung an der angedachten Begleiterhebung teilzunehmen ist medizin-ethisch und datenschutzrechtlich äußerst fragwürdig.

Die Maßnahme ist zudem weder erforderlich noch geeignet. Eine Begleiterhebung ist keine Forschung. Es werden ausschließlich Daten, die ohnehin anfallen, zusammengetragen. Das dafür vorgesehene Budget ist knapp bemessen. Die auf diese Weise gewonnenen Daten alleine sind als Grundlage für ordentliche Empfehlungen des Gemeinsamen Bundesausschuss zur regulären Kostenerstattung von Cannabis bei bestimmten Indikationen völlig unzureichend.

Cannabis sollte nach den gleichen wissenschaftlichen Standards verschrieben werden wie andere Medikamente. Daher brauchen wir hierzulande mehr wissenschaftliche Forschung. Im zur Debatte stehenden Gesetz ist nach unserer Einschätzung kein wirksamer Ansatz vorgesehen bisher versäumte Studien- und Forschungsarbeiten aufzuholen. Das Gleiche gilt für den Nachhohlbedarf bei der ärztlichen Fortbildung.

 

5.2. Antrag auf Kostenerstattung und Prüfung durch den MDK

Für eine mögliche Kostenerstattung muss man als Patient vor der Therapie einen Antrag hierzu bei der Krankenkasse stellen. Die Regelung auf Versorgungs-Anspruch mit Cannabis ist ähnlich der heutigen Kriterien für eine Ausnahmegenehmigung: Man muss austherapiert sein und der Einsatz von Cannabis muss plausibel sein. In der Praxis werden die Krankenkassen den Medizinischen Dienst beauftragen jeden Einzelfall zu prüfen. Wie welche Krankenkasse bei welcher Diagnose agieren oder reagieren wird, darüber kann heute nur spekuliert werden.

Die bisherigen Erfahrungen von Patienten mit einer Ausnahmeerlaubnis zur Verwendung von Cannabis weisen aber darauf hin, dass der MDK erstmal grundsätzlich davon ausgeht, dass es Therapiealternativen gäbe.

Die Wissenslücken der meisten Ärzte bei Cannabis als Medizin werden hier eine verschärfende Rolle spielen. Selbst wenn ein Arzt prinzipiell gewillt ist, Cannabis zu verschreiben, wird er ohne eigene fundierte Kenntnisse im Streifall sich kaum mit den Krankenkassen anlegen. Woher aber soll diese erforderliche Sachkunde kommen, wenn sie an den Universitäten nicht vermittelt wird, nachdem Cannabis jahrzehntelang als „Rauschgift“ verschrien, aber nicht als wirksames Heil- und Linderungsmittel anerkannt worden ist? Diese Wissenslücken in Kombination mit der unausgegorenen Sozialbürokratie zur Kostenerstattung werden der Auffassung des SCM nach der enge Flaschenhals beim Einsatz von Cannabis als Medizin werden.

Unserer Meinung nach sollten dringend finanzielle Mittel für ärztliche Fortbildungen zu Cannabis als Medizin zur Verfügung gestellt werden, um diesen Missstand zu beheben.

Für die Wirkung von Cannabis bei einer Vielzahl von Erkrankungen gibt es bislang kaum wissenschaftliche Erkenntnisse, auf die der MDK zur Beurteilung zugreifen könnte. Wahrscheinlich werden diese im Ergebnis der Forschungsübersicht, die das BMG in Auftrag gegeben hat, gar nicht erst auftauchen.

Patienten mit einer Ausnahmeerlaubnis haben diese Überprüfung im Antragsverfahren bereits hinter sich gebracht. Bei heutigen Erlaubnisinhabern sollten daher die Kosten in Zukunft regelhaft von den Kassen übernommen werden und diese nicht nochmal den Nachweis der Austherapiertheit erbringen müssen, wie es der MDK wiederholt verlangt hat.

 

5.3. „Austherapiert“

Die zwingende Notwendigkeit sich vor einer Kostenerstattung „austherapieren“ zu lassen, stellt einen massiven Eingriff in die Rechte der Patienten und in die Therapiefreiheit dar. Medikamente, die im Vorlauf einer ärztlichen Cannabis-Verordnung eingenommen werden müssen, haben mitunter erhebliche Nebenwirkungen für gesundheitlich ohnehin belastete Patienten. Es steht zu befürchten, dass der MDK pauschal ein ärztliches Maximalprogramm am Patienten verlangt und jede Abweichung davon gesondert begründet werden muss.

Es ist irrational, wenn die Entscheidung für oder gegen einen Therapieversuch mit Cannabis nicht auf einem Nutzen-Risiko-Vergleich basiert. Das Gesetz fordert praktisch, dass Ärzte jedem Patienten bei z.B. ADHS oder Schmerzen immer erst Amphetamine oder Opiate verschreiben sollen, bevor Cannabis auch nur in Frage kommt.

 

5.4. Hürde bei der Kostenerstattung: „Keine Praxisbesonderheit“

Noch gravierender ist, dass selbst wenn die jeweilige Krankenkasse die Kosten für den Bedarf an Cannabis prinzipiell übernehmen würde, so muss dieses zulasten des Budget des Arztes gehen. Einem Psychiater stehen beispielsweise pro Jahr pro Patient nur Mittel für etwa 20 Gramm Cannabis pro Jahr zur Verfügung. Der durchschnittliche Vierwochenbedarf eines Patienten beträgt heute jedoch etwa 50 Gramm. Auf diese Weise wird es kaum einem Arzt möglich sein mehrere Patienten gleichzeitig behandeln zu können.

Ärzte sind verpflichtet innerhalb ihrer Budgets zu arbeiten. Normalerweise können – insbesondere bei Fachärzten – bei bestimmten Diagnosestellungen besonders teure Medikamente nicht zulasten des Praxisbudgets verordnet werden. Dies ist besonders für die Behandlung von chronisch kranken Menschen relevant und üblich.

Cannabis wird aber nicht als mögliche sogenannte „Praxisbesonderheit“ eingestuft. Damit geht das Geld für etwaige Cannabis-Blüten direkt vom allgemeinen Praxisbudget des verordnenden Arztes ab.

Kein Kassenarzt wird es sich leisten können seinen fachlichen Schwerpunkt auf die Behandlung mit Cannabis als Medizin zu legen und sich zu spezialisieren.

Ein Cannabispatient kostet relativ viel im Vergleich zum Durchschnitt anderer Patienten. Selbst wenn andere Medikamente möglicherweise wegfallen oder reduziert werden können, wird die Versorgung eines einzelnen Patienten mit Cannabis das vorgesehene Budget um ein Vielfaches übersteigen. Es mag Fälle geben, in denen Cannabis günstiger ist, aber das ist nach unserer Kenntnis eher die Ausnahme. Zu welchem Preis Cannabis künftig angeboten wird, ist noch unklar, aber überaus relevant für die Praxis.

Damit könnte die vom Gesetz geplante Kostenerstattung in vielen Fällen trotz des Erstattungsanspruches an der Belastung des Praxisbudgets scheitern.

 

5.5. Kosten für das Gesundheitssystem

Medizinisches Cannabis ist im Vergleich zu Cannabis vom sog. „Schwarzmarkt“ und anderen Medikamenten relativ teuer . Der Preis von 15-25 € pro Gramm für Cannabis der Firma Bedrocan in Deutschland ist ein Ergebnis der rechtlichen Rahmenbedingungen. In Zukunft dürfte es als Rezepturarzneimittel zu einer weiteren erheblichen Verteuerung kommen. In Kanada kann die gleiche Firma Patienten allerdings schon für 3,40 € pro Gramm versorgen.

Den Kosten für das Medikament Cannabis stehen jedoch die heutigen finanziellen Auswirkungen durch unzureichende Behandlungen, sich daraus ergebende Arbeitsunfähigkeit sowie infolge von Polypharmazie mit erheblichen Wechselwirkungen und Nebenwirkungen gegenüber.

 

6. Die Freiheit selbst anbauen zu dürfen

Cannabis als Medizin muss in Apotheken in geprüfter Qualität zur Verfügung stehen. Im Alltag allerdings werden Patienten an Kosten und sozialbürokratischen Hürden scheitern, deshalb gibt es keine sachlichen Gründe für die Weigerung der Regierung diesen Menschen den Eigenanbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken zu erlauben. Nachdem selbst der Patient Michael F., der im April das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig (BVerwG 3 C 10.14) erstritten hat, bis dato noch immer nicht über seine Genehmigung verfügt, kann an diesem Fall exemplarisch aufgezeigt werden wie mit Kranken verfahren wird, obgleich höchstrichterliche Urteile auf ihrer Seite stehen.

Der Anbau von Cannabis als Medizin durch Patienten oder nicht kommerzielle Dritte stellt eine unbürokratische, aber durchaus wirksame Lösung da. Eigenanbau behebt das Problem der Kosten zugunsten des Patenten ebenso wie zugunsten der Solidaremeinschaft. Patienten haben damit die Möglichkeit gezielt jene Sorten zu nutzen, die bei ihrer jeweiligen Indikation am Besten helfen.

Der Einwand „Patienten müssen vor nicht qualitätsgeprüften Cannabisprodukten geschützt werden“ ist für Betroffene blanker Hohn, weil für kranke Menschen nicht streng standardisiertes Cannabis besser ist als kein Cannabis. Konsequenz aus der Nichterlaubnis des Anbaus durch Patienten wiederum ist die strafrechtliche Verfolgung. „Zum Eigenschutz der Betroffenen“ – so als ob Strafverfolgung die bessere Therapie-Option darstellt.

Andere Länder machen vor, dass und wie Eigenanbau von Cannabis durch Patienten ohne aufgezwungene Standards weder zur Verschlechterung des Gesundheitszustandes – noch zu einem Patienten-Massensterben führt.

Die Option, Cannabis zu eigentherapeutischen Zwecken straffrei selbst anzubauen, muss für schwer Kranke daher zumindest so lange gegeben sein, (und zwar nicht allein unter dem Gesichtspunkt des medizinisch gerechtfertigten Notstands nach § 34 StGB), bis eine zufriedenstellende Lösung für einen reale Versorgung mit für Patienten wirksamen Cannabissorten gewährleistet werden kann.

Chronisch oder schwer Kranken ist nicht zuzumuten, weiterhin über ungewisse Zeiträume bis zur Umsetzung und Nachbesserung des Gesetzentwurfs vertröstet zu werden und dadurch gesundheitliche Schädigungen bis hin zum Tod in Kauf zu nehmen.

 

7. Nichtbeteiligung Betroffener

Ausdrücklich kritisiert werden muss an dieser Stelle die Nichtbeteiligung des Selbsthilfenetzwerk Cannabis-Medizin (SCM) an diesem Gesetz. Das SCM vertritt genau jene Patienten, die vom aktuell unzulänglichen – aber auch vom künftigen Gesetz betroffen sind. Ihre Bemühungen sich bereits bei der Entstehung des Referentenentwurfs einzubringen wurde seitens der Verantwortlichen im BMG ignoriert. Diese Patienten waren es jedoch, die Cannabis als Medizin durch etliche Klagen und Gerichtsverfahren gegen die Regierung überhaupt erst in der heutigen Form ermöglicht haben.

 

8. Potenzial und Ausblick

Aufgrund der Daten aus Kanada, den USA und Israel wird angenommen, dass über eine Million Menschen in Deutschland von Cannabis als Medizin profitieren könnten. Derzeit dürfen aber lediglich 700 Menschen Cannabisblüten legal kaufen, weitere erhalten Sativex und Dronabinol. Die Differenz aus dieser Rechnung sind unzählige kranker Menschen, die heute unnötig leiden, weil ihnen der Zugang zu Cannabis als Therapieoption verweigert oder erheblich erschwert oder mit finanzieller Pleite vergolten wird.

Die Gesetzeslage zu Cannabis als Medizin muss sich deshalb daran messen lassen, wie viele Menschen, denen Cannabis helfen könnte, es als reale Therapieoption zur Verfügung steht. Die politische Verantwortung liegt beim Gesetzgeber.

Wie komplex das Thema Cannabis als Medizin in der Praxis ist und wie viele Punkte in Zukunft noch beachtet werden müssen, zeigt eine Untersuchung zum Zugang zu Cannabis als Medizin aus Patientensicht. Die Organisation „Americans for Safe Access“ hat im letzten Jahr eine Untersuchung zum Zugang zu Cannabis als Medizin in den 34 US-Bundesstaaten sowie Washington D.C. mit entsprechen Gesetzen veröffentlicht. Darin wird aus Patientensicht die rechtliche und praktische Situation in jedem Staaten beschrieben und bewertet. Es werden die Kategorien Patientenrechte und zivilrechtlicher Schutz vor Diskriminierung, Zugang zur Medizin selbst und insbesondere die Regeln für Verkaufsstellen, die Zugangsbedingungen sowie die Praxistauglichkeit bewertet.

 

9. Fazit

Cannabis als Medizin gehört in die Hände von Ärzten, Apothekern und Patienten. Es braucht Normalität bei der Therapiefreiheit, Kostenerstattung, Reisefreiheit und bei jeder anderen rechtlichen Fragestellung. Nicht mehr und nicht weniger ist das Patienteninteresse, das im Mittelpunkt dieser Debatte stehen muss.

Die Gesamtsituation hierzulande ist für betroffene Patienten dramatisch. Hinter jedem Erlaubnisinhaber steckt ein persönliches Schicksal aus Krankheit, finanzieller Ausblutung, Repressionserfahrungen und Ausgrenzung. Auf jeden Erlaubnisinhaber kommen unzählige Personen, denen Cannabis nur illegal helfen kann.

Täglich leiden viele Hunderttausende an Schmerzen oder anderen chronischen Erkrankungen, weil Cannabis für sie nicht erreichbar ist und nicht erstattet wird. Falls eine Erstattung künftig nur „in eng begrenzten Ausnahmefällen und ausschließlich bei fehlender Therapie-Alternative“ erfolgt, nachdem die Widerstände beim Arzt, der Krankenkasse und dem MDK überwunden sind und die Budgetierung der Ärzteschaft die Verordnung adäquater Cannabis-Mengen unmöglich macht, so wird dieses Gesetz für viele Betroffene kaum das Papier wert sein, auf das es gedruckt werden soll.

Patienten wissen, dass es besser geht…

Maximilian Plenert, unter Mitwirkung von Gabriele Gebhardt (SCM-Sprecherin) und Axel Junker (Stellv. SCM-Sprecher), Sept. 2016