Dieser Artikel ist Teil einer provisorischen Leitlinie zum Einsatz von Cannabis als Medizin.
HIV und AIDS
Geschichte von Cannabis als Medizin bei HIV / AIDS
In den USA ist HIV/AIDS eine der wichtigsten Diagnosen beim Einsatz von Cannabis als Medizin. Zahlreiche Positivlisten mit Diagnosen für den Einsatz von Cannabis in den einzelnen US-Bundesstaaten nennen HIV/AIDS.
Historisch gibt es einen engen Zusammenhang zwischen HIV/AIDS, Schwulenbewegung und der Legalisierung von Cannabis als Medizin in den USA. Die wegweisende Proposition 215 in Kalifornien geht auf den Aktivisten Dennis Peron zurück, dessen Partner an den Folgen von AIDS starb und der Cannabis als Medizin nutzte. Präsident Ronald Reagan erklärte nicht nur 1982 den War on Drugs, er ignorierte die aufkommende AIDS Epidemie als Krankheit der Homosexuellen und diffamierte die Betroffenen.
Cannabis wurde insbesondere gegen das Wasting-Syndrom (Gewichtsabnahme von über 10% des Körpergewichtes) als eine der primären Todesursachen bei Menschen mit AIDS eingesetzt. Verursacht wird das Wasting durch die krankheits-bedingte Einflüsse wie Inappetenz (Appetitlosigkeit, Anorexie), Mundsoor (Überwucherung der Mundhöhle mit Pilzen) und Durchfall.
Nicht verwechseln: Die sog. „Magersucht“ (Anorexia nervosa) ist eine psychisch bedingte Sonderform der Anorexie und wird manchmal fälschlich verkürzend als „Anorexie“ bezeichnet.
Das erste HIV-Therapeutikum Azidothymidin (kurz AZT, auch Zidovudin), welches 1987 zugelassen wurde verursacht fatalerweise Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit und Bauchschmerzen, insbesondere in den damals eingesetzten sehr hohen Dosierungen. Üblich waren 400 mg alle vier Stunden rund um die Uhr, heute werden in der Regel 600 mg pro Tag gegeben. Durch die Dauergabe waren auch die Nebenwirkungen rund um die Uhr spürbar, was die Abmagerung weiter vorantrieb. Cannabis half gegen die Bauchschmerzen und der oft als „witziges“ Kiffer-Klischee strapazierte „Fressflash“ wirkte für die Betroffenen lebensrettend. Die Droge war illegal, die US-Bundesregierung war kaum gewillt oder in der Lage Abhilfe zu schaffen. Es wurde hier primär auf Dronabinol oral gesetzt, während die Patienten gerauchte Cannabisblüten bevorzugten.
Aufgrund der Entdeckung von Cannabis durch die Betroffenen selbst und die Illegalität, die auch in Kalifornien 1996 nur auf Ebene des Bundesstaates und nicht auf der nationaler Ebene endete, ging die medizinische Nutzung von Cannabis nicht mit einer klinischen Erforschung einher.
Weiterlesen: Medical Marijuana and the AIDS Crisis von Clinton A. Werner
Studienlage
Die formale Studienlage ist – auch aufgrund der oben beschrieben historischen Entwicklung – trotz der vielen Patientenjahre Erfahrung eher schlecht, beispielsweiseda viele Untersuchungen einen Bias aufweisen, nur kleine Gruppen umfassten oder nur einen kurzen Zeitraum umfassen.
Quelle: The medical use of cannabis for reducing morbidity and mortality in patients with HIV/AIDS. Lutge EE, Gray A, Siegfried N. Cochrane Database Syst Rev. 2013 Apr 30;(4):CD005175. doi: 10.1002/14651858.CD005175.pub3.
Die wichtigsten Studien zum Appetitsteigerung und Gewichtszunahme durch Cannabis oder Dronabinol, die in der Übersichtsarbeit Cannabinoids for Medical Use – A Systematic Review and Meta-analysis 2015 berücksichtigt wurden sind:
- Abrams DI, Hilton JF, Leiser RJ, et al. Short-term effects of cannabinoids in patients with HIV-1 infection: a randomized, placebo-controlled clinical trial. Ann Intern Med. 2003;139(4):258-266.
- Timpone JG, Wright DJ, Li N, et al; Division of AIDS Treatment Research Initiative. The safety and pharmacokinetics of single-agent and combination therapy with megestrol acetate and dronabinol for the treatment of HIV wasting syndrome: the DATRI 004 Study Group. AIDS Res Hum Retroviruses. 1997;13(4):305-315.
- Struwe M, Kaempfer SH, Geiger CJ, et al. Effect of dronabinol on nutritional status in HIV infection. Ann Pharmacother. 1993;27(7-8):827-831.
- Beal JE, Olson R, Laubenstein L, et al. Dronabinol as a treatment for anorexia associated with weight loss in patients with AIDS. J Pain Symptom Manage. 1995;10(2):89-97.