Es ist also – in Strafmaß gerechnet – wesentlich >>billiger<<, jemanden fahrlässig im Straßenverkehr zu verletzen als illegal mit BtM umzugehen. Und jemanden fahrlässig zu töten ist kaum nennenswert teurer ! – „Drogenpraxis, Drogenrecht, Drogenpolitik“, Kapitel E Drogenrecht I, Strafrecht und Betäubungsmittelrecht von Lorenz Böllinger
Das Betäubungsmittelgesetz stellt nahezu alle Umgangsformen mit den in seinen Anhängen genannten Stoffen ohne Erlaubnis unter Strafe. Wer keine Erlaubnis besitzt oder von Erlaubnispflicht ausgenommen ist, muss mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen. Dies gilt gleichermaßen für Händler, Konsumenten als auch für Helfer und Angehörige. So wie früher mitunter die Vergabe von sauberen Spritzen verfolgt wurde, ist es heute die Drugchecking-Initiative Berlin, die sich für ein Angebot zur Gesundheitsförderung Rat bei Strafrechtlern holen muss. Einer der Ratgeber, Prof. Cornelius Nestler bezeichnete die Notwendigkeit für seine Tätigkeit als Skandal.
Über Auffangtatbestände wird auch jede noch so aberwitzige Lücke geschlossen. Für einige Delikte sieht es außerordentlich harte Strafen vor. Besonders schwere Verstöße gegen den § 29 sowie Delikte nach § 29a, § 30 und § 30a werden als Verbrechen mit Mindeststrafen von 1, 2 oder 5 Jahren geahndet. Dies bedeutet auch mögliche Höchststrafen von bis zu 15 Jahren und einem Ausschluss von Geld- statt Freiheitsstrafen. Wurden diese Paragraphen ursprünglich als Schutz der Jugend vor Dealern und Mittel gegen die Organisierte Kriminalität eingeführt, treffen sie praktisch ganz andere Fälle. Hiervon ist insbesondere die relativ harmlose Droge Cannabis betroffen, da durch den Eigenanbau und nicht signifikant gestreckte Ware leicht eine „nicht geringe Menge“ zusammenkommt.
Jedes Abgeben oder selbst das Überlassen zum unmittelbaren Konsum durch einen über 21-jährigen an einen unter 18-jährigen, also auch die Weitergabe von nur einem Joint steht nach § 29a auf einer Stufe mit dem Handeltreiben mit einer „nicht geringen Menge“.
Wer selbst anbaut und gerade nicht mit dem Schwarzmarkt mit all seinen Risiken und negativen Konsequenzen für das Individuum und die Gesellschaft in Kontakt kommen möchte, wird besonders hart bestraft. Schon eine erntereife Pflanze kann mehr als eine „nicht geringe Menge“ Cannabis liefern und damit als Verbrechen nach § 29a bewertet werden.
Noch härter Strafen sieht § 30a vor. Wer mit einer nicht geringen Menge Cannabis handelt, sie einführt oder sich verschafft „und dabei eine Schußwaffe oder sonstige Gegenstände mit sich führt, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind“ kann eine Mindeststrafe von fünf Jahren erhalten. Dieses Strafmaß ist im Strafgesetzbuch für erpresserischen Menschenraub, Totschlag oder schwerem körperlichen sexuellen Missbrauch von Kindern vorgesehen.
Sowohl das Feststellen eines Handelstreibens und insbesondere die Bewertung von sich mitunter zufällig oder vergessen im Haushalt befindlichen „Schusswaffen oder sonstigen Gegenständen […] , die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind“ unterliegen einem großen Interpretationsspielraum. Auch wenn in der Rechtsprechung qualifizierende Merkmale wie „jederzeit bedienbar“, „Wille die Waffe einzusetzen“, „mit den Handlungen in Beziehung stehend“ kennt, werden diese mitnichten von jedem Gericht – trotz dem daraus resultierenden hohen Strafmaß – ausreichend gewürdigt. Wer nicht die Mittel und Ausdauer besitzt sich zu höheren Instanzen durchzuklagen kann unter die Räder einer unsachgemäßen Anwendung des § 30a kommen. Während der Gesetzgeber bei diesem Paragraphen an schwerbewaffnete Gangster von Schlage eines Al Capone dachte, wird der Paragraph de facto schon bei Elektroschockern, Baseballschlägern, Taschenmessern oder geerbten Schusswaffen angewandt.
Ein Beispiel für ein solches Urteil stellt ein junger Mann da, der sieben Pflanzen zu Hause anbaute und ein Pfadfindermesser in seinem Zimmer liegen hatte. Dieser junge Mann hat nachweislich noch nie etwas mit Drogenhandel zu tun gehabt. Aber er wurde wegen der „nicht geringen Menge“ der sieben Pflanzen zusammen mit dem Messer nach § 30a zu fünf Jahren Knast verurteilt.
Eine weitere Härte bei „Rauschgiftdelikten“ ist zudem die Praxis selbst bei „geringen Mengen“ Cannabis Hausdurchsuchung wegen „Gefahr im Verzug“ oder auf Grundlage von Hörnsagen oder dem Fund von Blumenerde, Lampen etc. durchgeführt. Die systematische Suche nach Zufallsfunden ist die Regel. Auch wenn die obersten Gerichte hier immer wieder klare Regeln benannt haben und Hausdurchsuchung als rechtswidrig eingestuft wurden, ohne Beweisverwertungsverbote oder Konsequenzen für die durchführenden Beamten bleiben diese Urteile folgenlos. Selbst bei einfachen Konsumenten werden Fingerabdrücke oder DNS Proben genommen und gespeichert sowie entwürdigende „körperliche Untersuchungen“ und öffentliche Urintests durchgeführt. Bei den Anlassstraftaten für eine Telekommunikationsüberwachung haben Drogendelikte einen Anteil von 50%. Praktisch alle Verbrechen im BtMG sind „schwere Straftaten“ im Sinne des § 100a StPO und erfüllen damit diese Voraussetzung für eine Telekommunikationsüberwachung. Alltäglich werden hier Tatverdächtige bis runter zur Ebene des einzelnen Konsumenten ins Visier genommen. Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte dieses Verhalten der Strafverfolgungsbehörden beim Einsatz von Brechmitteln zur Beweissicherung. Dieses Vorgehen forderte mehrere Tote und führte zu einer Verurteilung Deutschlands vor dem europäischen Menschengerichtshof wegen Folter.
Zuletzt wäre noch die Verfolgung von Delikten mit Nutzhanf und Nutzhanfprodukten zu nennen. Eine Erlaubnisfreiheit für den Anbau haben nur haupterwerbliche Landwirte bei bestimmten Sorten. Jeder andere Anbau von für Rauschzwecke völlig ungeeignetem Hanf mit einem THC-Gehalt von unter 0,2% wird nach § 29 geahndet. Jeder Umgang mit keimfähigen Nutzhanfsamen kann in der Nähe von Erde und Wasser zu einem BtM Delikt werden, wobei die Justiz von vornherein Jugendlichen jeden Verbotsirrtum abspricht und vögelfütterende Rentner unbehelligt lässt.
Geernteter Nutzhanf und daraus hergestellte Produkte werden immer wieder strafrechtlich verfolgt, da trotz des niedrigen THC Gehalts ein „Missbrauch zu Rauschzwecken nicht ausgeschlossen werden kann“. In entsprechenden Urteilen phantasieren Richter Dinge wie ein mögliches Destillieren von Nutzhanf herbei. Bei großen Mengen Nutzhanf kann sogar eine strafverschärfende „nicht geringe Menge“ zusammenkommen. In Kombination mit einem Handeltreiben oder einem Verkauf an Minderjährige ergeben sich gewaltige Strafmöglichkeiten. Die strafrechtliche Verfolgung von Nutzhanf wird von einzelnen Staatsanwälten mitunter „missbraucht“ um eigentlich legales aber ungeliebtes Hanfgewerbe wirtschaftlich zu ruinieren. Eine paradoxe Strafbarkeitsvermehrung ergibt sich aus dem praktischen Umgang mit Nutzhanfsamen: Während ein Pfund Samen aus der Drogerie als Ganzes legal ist, ist das gleiche Pfund aufgeteilt in viele abzählbare Mengen illegal.
Der Bereich Führerschein und Straßenverkehr wird hier ausgespart da in von einen anderen Beitrag behandelt. Im Blick auf den kommenden Absatz sei erwähnt dass hier mitunter von der Polizei auch Strafanzeigen wegen des Besitzes und Erwerbs von Cannabis geschrieben werden einzig und alleine auf Grundlage eines positiven Drogenschnelltests.
Das Legalitätsprinzip zwingt die Polizei jedem Anfangsverdacht nachzugehen. Sei es ein Jointstummel, eine nicht wägbare Menge Tabak-Haschisch-Gemisch, Nutzhanfsamen außerhalb der Originalverpackung oder der eben erwähnte Drogenschnelltest – jedes Delikt wird verfolgt und eine Strafanzeigen geschrieben. Praktisch enden solche nicht haltbaren Anzeigen oft mit einer Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft oder des Gerichts – und einer obligatorischen Meldung an die Führerscheinstelle. Eine solche Einstellung ist jedoch kein Freispruch und kann bei weiteren Delikten verfolgungs- oder strafverschärfend wirken – auch wenn bei einer Verhandlung keinerlei Strafe zu erwarten gewesen wäre.
Der Deutsche Hanf Verband hat einige Fälle von Repression bei Cannabis in Videos dokumentiert, hier exemplarisch drei Fälle:
Repressionsfall Ciro P.
Ciro P. aus Baden-Württemberg wurde von seiner Nachbarin bei der Polizei angeschwärzt. Nach einem Jahr Observation rückte die Polizei mit 6-7 Mann und Hunden an und führte eine Hausdurchsuchung durch. Der vermeintliche Grow-Raum entpuppte sich als Kinderzimmer. Gefunden wurden 4 g Cannabis und Bilder einer Pflanze, deren Anbau schon einige Jahre her war. Vor Gericht wurde Ciro erst zu 90, dann zu 60 und schlussendlich zu 45 Tagessätzen verurteilt. Der Staatsanwalt verlangte aufgrund der Nichteinsicht seiner Schuld ein möglichst hartes Urteil. Ciro weigerte sich, die verhängte Geldstrafe zu zahlen und ließ sich lieber 3 Wochen inhaftieren. Der Schaden durch das Cannabisverbot in diesem Fall: Mehrere Tausend Euro…
Repressionsfall Floh Söllner
Floh Söllner wurde 2007 aufgrund eines anonymen Anrufers das Ziel einer Hausdurchsuchung. Er stand im Verdacht Cannabis anzubauen. Die Polizei durchsuchte und verwüstete dabei in seiner Abwesenheit die Wohnung, sie beschlagnahmte dabei dutzende Gegenstände. Die Liste ist 3 Seiten lang und reichte von einem grünem Feuerzeug bis zu einer kleinen Flasche Hanf-Speiseöl. Dieses völlig legale Speiseöl enthält ebenso wie Hanftee eine geringe Restmenge THC. In diesem Fall waren es 0,13 % THC. Für eine Rauschwirkung wären 10-15 l Öl nötig. Dank eines Anwalts und der eingeschalteten Öffentlichkeit wurde das Verfahren eingestellt – eine Einstellung ist aber kein Freispruch und so blieb Floh auf mehr als 1000 € Verfahrens- und Anwaltskosten sitzen.
Repressionsfall „Kai“ aus Baden-Württemberg
Der Betroffene möchte lieber anonym bleiben. Aufgrund der Aussage eines Bekannten, Kai sei Dealer, bekam dieser eine Hausdurchsuchung. Dabei wurde lediglich eine „undefinierbare Menge“ Haschisch gefunden. Alleine aufgrund eigener Aussagen zum Konsum und der gerichtlichen Interpretation, welche Mengen er wohl dafür erworben haben hätte, wurde er zu 40 Stunden Jugendstrafe verurteilt. Obwohl dieses Urteil in Kais Jugend getroffen wurde, leidet er weiterhin an der damit verbundenen Stigmatisierung. Der militärische Abschirmdienst (MAD) verhinderte aufgrund seiner Jugendstrafe dass sich Kai trotz hoher Motivation und guter Bewertungen seiner Dienstzeit bei der Bundeswehr verpflichten durfte.