Abrüstung im Drogenkrieg!
Anmerkungen zur SPIEGEL-Serie über den „verlorenen Krieg“ gegen Drogen
Von Heino Stöver (akzept e.V) und Hans-Günter Meyer-Thompson (dgs-info)
Der SPIEGEL hat im Februar eine Serie über den „verlorenen Krieg“ gegen die illegalen Drogen begonnen. „Es ist Zeit für Abrüstung“, schlussfolgern die Redakteure und formulieren die „Kernfrage der Drogendebatte“: „Was wäre, wenn? Stimmt die Drogenlogik? Gerät der Konsum außer Kontrolle ohne die Prohibition?“ Der Drogenkrieg spielt sich nicht nur in den Anbau- und Transitländern für Koka/Kokain und Opium/Heroin ab. Er zeigt seine Auswirkungen auch hierzulande: Ein Betäubungsmittelgesetz, das zwar den Konsum, nicht aber den Erwerb und Besitz straffrei stellt, gehört auf den Prüfstand, weil es mehr Schaden als Nutzen anrichtet, eine Schattenwirtschaft nährt und in erster Linie die Konsumenten trifft. Wenn in Deutschland etwa 30% aller männlichen und über 50% aller weiblichen Gefangenen intravenös konsumierende Drogenabhängige sind, dann zeigt das: Es ist etwas faul. Aber welche Regierung traut sich da wirklich ran? Stattdessen wird weiterhin Härte demonstriert und Symbolpolitik betrieben: Aufgerüstete Polizei- und Zollfahndungsgruppen, aktuell gegen den Amphetaminschmuggel im deutsch-tschechischen Grenzgebiet, oder Drohnen in Nordrhein-Westfalen zur Entdeckung von Hanffeldern stören die Händlergruppen allenfalls vorübergehend. Mehr als ein paar Prozent der illegalen Produkte vom Markt zu ziehen, schaffen selbst hochtechnisierte Polizeiapparate nicht; und große Aufgriffe steigern lediglich die Verbraucherpreise – Konsum und Geschäfte gehen weiter.
International geraten die Prohibitionisten unter Druck, seitdem die Regierungen mehrerer lateinamerikanischer Länder nicht mehr bereit sind, den „War on Drugs“ der USA gegen ihre Bevölkerung fortzusetzen. Dass in Bolivien wieder Koka gekaut werden darf und die Bevölkerung in mehreren US-amerikanischen Bundesstaaten durchgesetzt hat, Cannabis aus medizinischen oder hedonistischen Gründen zu sich nehmen zu dürfen, sind erste erfreuliche Abrüstungsschritte.
Wie hierzulande „Abrüstung im Drogenkrieg“ aussehen kann, hat vor genau 25 Jahren die damalige nordrhein-westfälische Landesregierung gewagt, als sie die ersten Substitutionsbehandlungen für Heroinabhängige zuließ. Aus dem Pilotprojekt ist die anerkannte Behandlungsform der ersten Wahl geworden; mit den Behauptungen, Substitution sei das „falsche Signal“, bewirke eine grenzenlose Ausweitung des Heroinkonsums, verhindere Therapien und würde die Todesziffern nicht senken, haben sich die Gegner der Substitutionsbehandlung gründlich geirrt. Was also ist so undenkbar, eine pragmatische Politik und die Prinzipien der Schadensminderung auch auf andere illegale Drogen auszuweiten, angefangen mit Cannabis? In Europa beweisen die Schweiz, die Niederlande, Belgien, Tschechien, Spanien und Portugal im Umgang mit Hanf, dass eine entschärfte Strafverfolgung mitnichten geradewegs in einen „Drogensumpf“ führt. Im Gegenteil: Jugendschutz, Prävention und Qualitätskontrollen sind nur in einem regulierten Umfeld möglich – bei Nikotin und Alkohol klappt das schließlich auch – mehr oder weniger. Und es bringt Steuern ein.
Quelle: dgs-info 72, Newsletter der DGS – Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin, Leittext, 3.März 2013