DHS-Kongress: Vier Säulen der Ratlosigkeit? Zur Drogenpolitik in der späten Moderne

Dr. Aldo Legnaro aus Köln, der schon Beiträge die Buchreihe „Rausch und Realität“ schrieb, beschrieb als Soziologe den Sinn und Unsinn der Drogenpolitik der letzten 100 Jahre.

Hier gibt es einen Text von ihm der dem was er vorgetragen hat ähnelt.

Für ihn beginnt die drogenpolitische Zeitrechnung mit der Opiumkonferenz in Den Haag im Januar 1912. Schon damals waren standen kolonialpolitische Interessen im Vordergrund wie die wirtschaftliche Schwächung Indiens als Kolonie von Großbritannien. Mit der Konferenz enden die Zeiten in denen Haschisch und Kokain besungen und selbstverständlich von Künstlern, Gelehrten und Medizinern eingenommen wurden.
Der Beginn der weltweiten Regulierung des Drogenmarktes war ein großer Rationalisierungsschub, aber kein rationaler Ansatz. SO fehlte 1928 schlicht noch das Problem zum Gesetz. Das Reichsgesundheitsamt meldet 1919 nur Einzelfälle von Kokainkonsum. Da hindert Presse, Mediziner sowie Innen- und Gesundheitspolitiker nicht diese Fälle aufzubauschen, sie im Bereich der Halb- und Unterwelt einzuordnen oder die „Gefahr aus dem Ausland“ zu beschwören – zu dieser Zeit bot sich der Erbfeind Frankreich hierfür an. So wurden Einzelfälle generalisiert und das Drogenproblem etabliert. Es war somit die Drogenpolitik die Drogenkonsum als Drogenproblem erst geschaffen hat.
Die Gesetzgebung kümmerte sich damals primär um Opiate und Kokain, der Konsument hatte das Gesetz noch kaum im Blick, aber die Voraussetzungen zur Stigmatisierung wurden geschaffen. Das Reichsopiumgesetz setze ein Problem voraus, es gab noch keine Strafbestimmungen gegen Konsumenten, dafür aber die Entmündigkeit als ein dem Zeitgeist entsprechendes Mittel gegen den haltlosen Morphinisten. Dieser Stereotyp des Drogenkonsumenten, der sich nicht im Griff hat, wirkt bis heute fort.
Die Einstellung des westlichen Drogenpolitik zu Drogen und Rausch ist sowohl rigide als auch ambivalent. Es ging von Anfang an um Kontrolle und Repression. Die Repression als 4. Säule in der Drogenpolitik ist somit nicht als Ultima Ration zu sehen, sondern eher als eigentliche Krönung der Drogenpolitik.
Der gesellschaftliche Rahmen indem die Drogenpolitik geboren wurde ist geprägt von der fortschreitenden Industrialisierung mit der Erfindung des Fließbandes durch Henry Ford 1913. Es entsteht die gesellschaftliche Formation namens Diszipilargesellschaft, in der Disziplin und Disziplinierung herrschen, jeder weiß nun was „normal“ ist. Die Eisenbahn erzwang die Einführung der Normalzeit, die Industrialisierung schuf normale Arbeitszeit und das normale Arbeitsleben, daraus entstand die normale Biographie und das normale Leben.
Davon abgrenzt wurde der Drogenkonsum. Dieser wird als abnormal definiert, darauf passiert die Politik bis heute. Repression und Kontrolle waren damals die angemessene Reaktion auf dieses Phänomen. Er wird am Rande der Bürgerlichkeit verortet, Drogenkonsumenten sind die anderen, die schlechten. Man schuf damit eine neue Form des abweichenden Verhalten. Dies gilt natürlich nicht für den Konsum der Oberschicht gemeint, weil dieser nicht systemgefährdend sein kann. Drogenkonsum wird in Verbindung gebracht mit Gefährlichen Gruppen und Klassen, all dies passiert nicht auf Empire sondern sondern sind Projektionen. Somit soll die Gefährung „greifbar“ gemacht werden.
So wird auf dem Ärztetag 1928 der Kokainismus als „Seuche im Sumpfe der Großstadtentartung“ genannt, so entsteht das Bild des Binnenfeindes und des Seuchenherdes. Dieses Denken bleibt erhalten, in einem Buch von 1953 wird von einem Laster gesprochen dass aus dem Volkskörper ausgebrannt werden muss.
Versucht wurde dies auch mit der Alkoholprohibition in den USA, hier war Prävention gleich Repression und als höchst moralisches Experiment legitim. Das Ergebnis ist bekannt: Gefüllte Gefängnisse, Tote, Korruption etc. – das kommt uns heute alles bekannt vor. Wir kennen damit die Folgen einer Prohibitionspolitik, sie sind uns heute aber scheinbar egal.
Die Drogenpolitik der BRD pendelt zwischen Repression und Prävention und wird damit entscheidungslos. Die Disziplargesellschaft sanktioniert und zeigt gleichzeitig einen enormem Ehrgeiz bei der Normalisierung. Deswegen wird auch Resozialisierung und Therapie betrieben, alles Normalisierungsarbeit. Im Anfang war Kontrolle und Repression und etwas Therapie angesagt, also quasi nur 1,5 Säulen.
In den 60er Jahren kam dann die Prävention dazu, Zielgruppe waren und sind die Jugendlichen, Anlass war die Drogen“welle“. 1972 rief Nixon den War on Drugs aus, was zu Beginn auch für einen Ausbau der Therapie stand, aber dann doch eher Repression im Inland und Ausland bedeutete. Die BRD führte diesen Krieg auf ein zivilisiertere Weise: Ausbau von Therapie und Beratung. 1968 wurde dann auch Sucht als Krankheit anerkannt. Es wurde als soziales und psychisches Problem gesehen, aber die Kontrolle und Repression wurde nicht vergessen.
Im DHS Rahmenplan für Therapie 1971 wurde das Ziel „soziale Selbstständigkeit“ ausgegeben. Dies passte zu dem Bild dass vermeintlich alle Konsumenten unselbstständig seien, alle irgendwie krank – sprich: die Fortschreibung der Stigmatisierung.
Gesellschaften können auf zwei Arten reagieren, entweder schlucken sie oder sie spucken aus. Die Drogenpolitik der BRD pendelte, einerseits wurden Konsumenten als Gefahr für die Gesellschaft gesehen, sie erkennt nicht an dass Lust und Drogen eine Verbindung haben an, und auf der andere Seite sind sie auch Kranke. Zwischen diese beiden Polen pendelt die deutsche Drogenpolitik immer, es war auch immer eine Mischung. Inzwischen hat sich ihr Verhältnis verschoben dem Wandel der Disziplinargesellschaft.
Die Gesellschaft heute setzt auf Deregulierung, auf einen schlanken Staat. Zeitgleich zum War on Drugs wurde die Eigenverantwortung beschworen, wir haben die Freiheit zwischen mehrere Optionen und gleichzeitig den Zwang sie optimal zu nutzen. Es geht nicht mehr um Normalisierung, sondern um Konsum, Selbstdarstellung und Individualisierung.
Wie wird nun Normalität erzeugt? Durch die Gestaltung der Umwelten des Konsums, de Shoping Mall, Zielvereinbarungen von Betrieben für den richtigen „Spirit“, die Privatisierung von Lebensrisiken. Wer nicht mitmacht, wird ausgeschlossen. Dies verändert Drogenpolitik.
Betrachtet man die beiden Punkte Vervielfachung von Normalität und der selektive Ausschluß, dann könnte man denken dass Drogen ein Konsumgut wie anderen wurden, aber diese Entwicklung gibt es nur als Tendenz.
Ende der 80er Jahre wurde dann Harm Reduction entdeckt, „dank“ AIDS durften Apotheken plötzlich Spritzen verkaufen – was zuvor als eine Förderung des Konsums angesehen wurde. Was bedeutet im Kontext von Harm Reduction Konsum als Selbstinszenierung und Ausschlußgrund? Harm Reduction sieht beide Punkte, auf der einen Seite nimmt man den Drogenkonsum hin, man erkennt ihn an und verhindert ihn nicht um jeden Preis. Kontrollierter Konsum scheint ein vertretbares Thema. Dies zeigt sich beispielsweise in Altersheime für Junkies. Gleichzeit gibt es jetzt doch keine moralische Akzeptanz des Konsums.
Eine öffentliche Selbstdarstellung wie in Drogenszenen ist unerwünscht. Schon 1810 verbot der Berliner Polizeipräsident das Rauchen in der Öffentlichkeit mit der Begründung dies würde der öffentlichen Sittsamkeit widersprechen. Der Horror vor Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Drogenkonsum stören und verstören die Konsumlaune. Wo sonst alles Konsumgut und Mode ist, das darf nicht in die Öffentlichkeit. Dafür gibt es Harm Reduction und Konsumräume, es wird versucht das Phänomen zu kanalisieren und einzugrenzen – im Namen von Sicherheit und Ordnung.
Was bedeuten nun die vier Säulen? Sie sichern Grenzen: Welcher Konsum ist konform? Wer ist krank und wer ist gesund? Was ist gewünscht und was nicht? Eine solche Drogenpolitik, eine Politik die den Konsum selbst zum Problem erhebt ist sinnlos, man müsste Gesellschaftspolitik und Sozialpolitik – mit Drogenpolitik als Instrument.