Dr. Nicole Krumdiek arbeitet und lehrt am Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Bremen. Sie wurde für ihre mit „Summa Cum Laude“ bewertete Doktorarbeit „Die national- und internationalrechtliche Grundlage der Cannabisprohibition in Deutschland“ (ISBN 3-8258-9543-2) mit dem Studienpreis der Universität ausgezeichnet.
Stellungnahme von Dr. Nicole Krumdiek
zur öffentlichen Anhörung am Mittwoch, 25. Januar 2012
– Legalisierung von Cannabis durch Einführung von Cannabis-Clubs-
BT-Drs. 17/7196
Sehr geehrte Frau Reimann,
zunächst einmal möchte ich mich für die Gelegenheit bedanken, eine Stellungnahme zum Antrag der Abgeordneten Frank Tempel, Dr. Martina Bunge, Jan Korte, Ulla Jelpke, Petra Paul, Jens Petermann, Raju Sharma, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak, Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE „Legalisierung von Cannabis durch Einführung von Cannabis-Clubs“ (BT-Drs. 17/7196) abgeben zu können.
Ich begrüße die dem Antrag zugrunde gelegte Initiative, die Strafverfolgung im Hinblick auf die konsumverbundenen Verhaltensweisen mit Cannabisprodukte in der bestehenden Form aufzugeben. Nur so kann den schädigenden Auswirkungen, welche die konkrete nationale Umsetzung der bestehenden Kriminalisierung in Form der Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes nach sich zieht, effektiv entgegengewirkt werden.
Dieser Auffassung liegt folgende Erkenntnis zugrunde:
Bei Einschätzung der potentiellen Risiken eines wie auch immer gearteten Cannabiskonsums darf die Gefahr grundsätzlich weder verharmlost noch dramatisiert werden. Allerdings wird von Befürwortern der bestehenden Rechtsanwendungspraxis häufig angeführt, dass die Ungefährlichkeit der Substanz Cannabis nicht hinreichend dargelegt werden könne. Dabei wird regelmäßig verkannt, dass die Beweissituation eine gänzlich andere ist. So hat der Gesetzgeber bei der Setzung von Strafrecht die Gefährlichkeit einer Handlung darzulegen, um so dem Grundsatz „in dubio pro libertate“ gerecht zu werden.
In Bezug auf die konsumverbundenen Verhaltensweisen mit Cannabisprodukten kann aber zusammenfassend gesagt werden, dass die gesundheitlichen und sozialen Gefahren, die von einem moderaten Cannabiskonsum ausgehen, sowohl kalkulierbar als auch hinnehmbar sind. Dies gilt trotz der Tatsache, dass es einen Personenkreis gibt, der sich grundsätzlich nicht zum Konsum von Cannabisprodukten eignet, wobei zu diesen sog. Risikogruppen Herz-Kreislaufpatienten, psychisch labile Personen, Schwangere, aktive Verkehrsteilnehmer sowie Jugendliche zu zählen sind. Für alle anderen Menschen ist insbesondere ein moderater Konsum nicht mit schwerwiegenden psychischen oder physischen bzw. sozialen Folgen negativer Art zu assoziieren.
Hierbei ist explizit darauf hinzuweisen, dass eine diesbezügliche zu fordernde objektive Bewertung ausschließlich an Hand des „Normalkonsumenten“ erfolgen kann, da Gegenstand der Gefahreneinschätzung die akute und chronische Wirkung von Cannabis nebst Inhaltsstoffen darstellt. Dies darf nicht insofern verfälscht werden, indem auf die Gefahren für besondere Konsumentengruppen abgestellt wird. Andernfalls müssten auch viele Lebensmittel wie z.B. Nüsse verboten werden, da einige Menschen hierauf mit zum Teil tödlichen allergischen Reaktionen reagieren.
In Anbetracht des bestehenden wissenschaftlichen nationalen und internationalen Kenntnisstandes muss im Hinblick auf Cannabisprodukte folglich von einer relativ ungefährlichen Substanz gesprochen werden, wobei dieser Kenntnisstand als hinreichend gesichert betrachtet werden muss und gerade auch im Vergleich zu den Alltagssubstanzen wie Alkohol und Nikotin gilt (vgl.: Nutt et al.,“Drugs harms in the UK: a multicriteria decision“, The Lancet 2010, 1558 ff.).
Deutlich zu betonen gilt demnach, dass der bestehende und als hinreichend gefestigt zu betrachtende Forschungsstand eine geänderte verfassungsrechtliche und somit strafrechtliche Betrachtungsweise notwendig macht.
Dies gilt umso mehr, als die Umsetzung der bestehenden BtMG-Normen trotz möglicher Einstellungsmöglichkeiten seitens der Strafverfolgungsbehörden nicht dem verfassungsmäßig garantierten Verhältnismäßigkeitsprinzip entspricht.
Mangels nachgewiesener gravierender potentieller physischer, psychischer sowie sozialer Risiken kann die Volksgesundheit und damit das Schutzgut des BtMG, nicht mehr als legitimer Zweck der Kriminalisierung von konsumverbundenen Verhaltensweisen angeführt werden.
Sofern hier darüber hinausgehende Nebenzwecke wie:
Unkontrollierbarkeit und damit die Quantität der im Umlauf befindlichen Cannabisprodukte,
Reinheit/Stärke der Substanz,
Jugendschutz,
Förderung der Einnahme berauschender Substanzen,
Kontakt zu anderen Drogen sowie
der Schutz des Straßenverkehrs
genannt werden, verhindert eine Kriminalisierung hier gerade die bemängelte Kontrolle, als es eine solche ermöglicht. Die als wünschenswert angesehene Beherrschbarkeit von Cannabisprodukten ist vielmehr gerade erst durch eine gesetzliche geregelte Abgabepraxis durchführbar.
Gleiches gilt für den angestrebten Gesundheitsschutz. Die Schwankungen hinsichtlich Reinheit und Stärke sind eine Folge des strikten Umgangsverbotes und können somit nicht Begründung desselben angeführt werden. Erst eine legale und kontrollierte Abgabe könnte bewirken, dass sowohl die Inhaltsstoffe, als auch die THC-Wirkgrenze nach zuvor festgelegten Grenzwerten eingehalten werden. Hierdurch kann verhindert werden, dass gesundheitsschädliche Streckmittel beigemengt oder für unerwünscht erachtete THC-Grenzen überschritten werden.
Darüber hinausgehend steht die Illegalität dem hierdurch angestrebten Schutz der Jugend kontraproduktiv entgegen. In diesem Bereich müssen mit denen des Nikotin- oder Alkohol-Vertriebes vergleichbare Mechanismen entwickelt werden, was sich aber nur bei einer entsprechenden kontrollierten Abgabe realistisch umsetzen ließe.
Auch kann eine dringend benötigte objektive Aufklärung der Bevölkerung und insbesondere der Jugendlichen so lange nicht Erfolg versprechend stattfinden, wie Cannabiskonsumenten kriminalisiert werden und der wie auch immer geartete Konsum per se als Problem wahrgenommen wird.
Sofern der Schutz des Straßenverkehrs als Begründung der Kriminalisierung angeführt wird, kann nicht das BtMG als Lösung angeführt werden, da hier grundlegend andere Gesetzeswerke (StGB, StVO, FeV) Ziel führend sind. Wie in dem Antrag gefordert liegt es auch hier am Gesetzgeber, durch Einführung wissenschaftlich anerkannter Richtwerte für Rechtssicherheit zu sorgen.
Wird die bestehende Kriminalisierung der Konsumenten darüber hinausgehend mit dem Argument begründet, das strafrechtlich manifestierte Verbot bewirke zumindest, dass die Menschen die jeweilige Substanz nicht konsumieren bzw. dass kein Massenkonsum einsetzt, ist dies ebenfalls nicht wissenschaftlich haltbar. Durchgeführte Studien haben gezeigt, dass eine Kriminalisierung bzw. die Drogenpolitik an sich (auch in Form einer Legalisierung) gerade keinen nachweislichen Effekt auf Aspekte wie:
Konsumbeginn,
Einstiegsalter,
Konsumverlauf,
Konsumgewohnheiten,
Verfügbarkeit von Cannabisprodukten,
Einnahme anderer Droge (Einstiegsthese)
hat. Ausschlaggebend für diese Faktoren sind vielmehr informelle Kontrollmechanismen wie unter anderem die Wohnregionen (Stadt- Land), Preis der Substanz, Gesundheitliche Aspekte, Schulische/berufliche Ziele (Lebensplanung) und Einfluss der Freunde (Peergroups).
Zusammenfassend muss demnach betont werden, dass weder die existierende Sanktionierung noch eine anzustrebende kontrollierte Abgabe einen wesentlichen Einfluss auf das Konsumverhalten haben. Ähnlich verhält es sich dabei mit der Vermutung, die Freigabe von Cannabis könne zu einer so genannten Sogwirkung und damit zu einem Massenkonsum führen.
Entsprechende Entkriminalisierungsbemühungen wie z.B. in medizinsicher Hinsicht in den USA, oder in Form der Herabstufung zu einer Ordnungswidrigkeit und damit zu Verwaltungsunrecht wie u.a. in Portugal, der Tschechischen Republik und Italien haben stattdessen gezeigt, dass eine Lockerung der Cannabisreglementierung gerade nicht zu diesem befürchteten Massenphänomenen führt. Als weiteres zu nennendes Beispiel sind in diesem Zusammenhang auch die Niederlande, die trotz der praktizierten De-facto-Legalisierung im Bereich der Cannabisverwendung unter Erwachsenen im Schnitt unter dem europäischen Durchschnitt liegen (vgl. Monshouwer K., et al., „Buying cannabis in „coffee shops“, Drug Alcohol Review 2011, 148 ff.). Und auch das in Spanien entwickelte Modell der Cannabis Social Clubs zeigt, dass die Verfügbarkeit von Cannabisprodukten nicht mit einem geänderten Konsumverhalten gleichzusetzen ist (vgl. Jelsma, Martin, “The development of international Drug Control: Lessons learned and strategie challenges for the future“, TNI, Genf 2011; sowie Alonso, Martin Barriuso, „Cannabis social clubs in Spain“, TNI Januar 2001, Series on Legislative Reform of Drug Polieies Nr. 9).
Folglich vermag die bestehende Kriminalisierung die mit den BtMG-Vorschriften angestrebten Zwecke unter keinem erdenklichen Aspekt derart zu fördern, um hiermit den Einsatz von Strafrecht zu rechtfertigen. Die dem Antrag der Fraktion zugrunde liegende Forderung muss folglich in verfassungsrechtlicher Hinsicht als milderes, mindestens ebenso wirksames bzw. wirksameres und damit einzig verfassungskonformes Mittel angesehen werden, die vom Gesetzgeber angestrebten Ziele zu erreichen bzw. zu fördern.
Hier zu nennen ist vor allem der Jugend- und Gesundheitsschutz, sowie die Folgen, die in beruflicher, sozialer und familiärer Hinsicht mit der bestehenden Kriminalisierung einhergehen. Diese aus der Strafverfolgung entstehenden Belastungen des Einzelnen, die auch nach einer strafprozessualen Einstellung immanent sind, würden ebenso wegfallen wie die Kosten, die die jährliche Strafverfolgung im Bereich der Cannabisdelikte beträgt. So gab Deutschland nach Schätzungen der EMCDDA in den 90er Jahren ca. 1,6 Mrd. Euro für Repression aus, was rund 43 % der gesamten europäischen Ausgaben für Drogenrepression ausmachte. Insgesamt verwendete Deutschland danach 84 % seines Drogenbudgets für Repressionen und hat damit den geringsten Anteil für präventive Maßnahmen freigestellt (vgl.: EMCDDA: „The research on public expenditure in the fjeld of drugs“, abzurufen unter: http://www.emcdda.europa.eu/html.cfm/index1357EN.html).
Als Fazit kann folglich festgehalten werden, dass es viele wissenschaftlich basierte Argumente gibt, warum sich in Europa, aber auch darüber hinausgehend mehr und mehr die Auffassung durchsetzt, dass sich der eingeschlagene Weg in Form der bestehenden Kriminalisierung im Hinblick auf eine angestrebte vernunftgetragene Drogenumgangspolitik nicht als Erfolg versprechend erwiesen hat (vgl. hierzu: Global Commission on narcotic Drug policy, „War on Drugs“, Juni 2011). Es wird Zeit, geeignete Schritte zu unternehmen, um die erwünschten vielfältigen Ziele anderweitig zu erreichen. Hierbei sollte von den positiven Erfahrungen anderer EU-Mitgliedsländer entsprechend profitiert werden, wobei sich das Model der Cannabis-Clubs in Spanien als geeignet erwiesen hat.
Gegen die Einführung eines solchen Modellprojektes sprechen auch nicht die Verpflichtungen, die Deutschland international im Rahmen der bestehenden UN-Drogenkonventionen eingegangen ist.
Prüfungsmaßstab ist hier zunächst die Konvention von 1988 (Das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen), da die Übereinkommen von 1961 (sog Sigle Convention) sowie die Konvention von 1971 (Convention on psychotropic substances) keine Kriminalisierungsverpflichtung für die hier zu beurteilenden konsumverbundenen Verhaltensweisen vorsehen.
Auch wenn die Konvention von 1988 in Art. 3 zunächst sehr strikte Prohibitionsvorgaben vorsieht, bleibt es dem deutschen Gesetzgeber nach Art. 3 XI ÜB 88 dennoch grundsätzlich unbenommen, gewisse Verhaltensweisen unter Berufung auf das Bagatellprinzip aus der Sanktionierungsverpflichtung herauszunehmen, um so dem geringen Unrechts- bzw. Schuldgehalt entsprechend Rechnung zu tragen. Hierunter ließe sich auch die Einrichtung entsprechender Cannabis Clubs subsumieren.
Darüber hinausgehende Liberalisierungsbestrebungen könnten unter Rückgriffnahme auf den in Art. 3 II explizit verankerten Verfassungsvorbehalt gestützt werden, ohne sich dem Vorwurf des völkerrechtswidrigen Verhaltens auszusetzen. Auf diesem Weg hat auch Portugal bereits früh entsprechende Kriminalisierungsbemühungen begründet (vgl.: Hough et al., „A growing market – The domestic cultivation of cannabis“, Joseph Rowntree Foundation (Hrsg.), National Addiction Centre, 2003).
Somit sprechen auch aus internationalrechtlicher Sicht keine gewichtigen Argumente gegen die im Antrag geforderte Legalisierung von Cannabis durch die Einführung von Cannabis Clubs.