Hier eine weitere Stellungnahme zur Cannabis Anhörung im Bundestag am 25.1.2012. Diesmal: Hans-Günter Meyer-Thompson, Mitglied des Vorstands der DGS – Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin. Er ist Arzt in der Abteilung für Abhängigkeitserkrankungen; IV. Fachabteilung: Abhängigkeitserkrankungenin Asklepios Klinik Nord – Ochsenzoll – Hamburg
Hamburg, den 24.1.2012
Stellungnahme zum Antragsbegehren (BT-Drs. 17/7196) der Abgeordneten Frank Tempel, Dr. Martina Bunge, Jan Korte, Ulla Jelpke, Petra Pau, Jens Petermann, Raju Sharma, Kathrin Vogler, Halina Wawzyniak, Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE vom 28.09.2011 auf
Legalisierung von Cannabis durch Einführung von Cannabis-Clubs
Aufgefordert, mich als Einzelsachverständiger zum o.g. Antrag zu äußern,
spreche ich mich für die Entkriminalisierung der VerbraucherInnen aus,
mahne die Umsetzung des höchstrichterlichen Beschlusses von 1994 an, eine bundesweit gültige Obergrenze für den Besitz und Konsum festzulegen, nach der eine Verfahrenseinstellung möglich ist,
_folge der Empfehlung der Arbeitsgemeinschaft Cannabis in der Medizin (ACM), eine Enquete-Kommission des Bundestags zur Neubewertung des Cannabisverbots einzusetzen
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und rege an, den Einfluss hochprozentiger „neuer“ Marihuana-Produkte auf die Zunahme psychotischer Störungen bei jugendlichen KonsumentInnen zu erforschen.
Zu 1) Die Verbotspolitik hinsichtlich Cannabis hat über Jahrzehnte den Konsum von Cannabis nicht wesentlich einschränken können und darf als weitgehend gescheitert angesehen werden. Die rechtlichen Folgen für die meist jugendlichen VerbraucherInnen und die Kosten für Polizei und Justiz stehen in keinem Verhältnis zum beabsichtigten generalpräventiven Effekt der Prohibition.
Zu 2) Die je nach Bundesland unterschiedliche Handhabung, Verfahren, die den Besitz und Konsum von Cannabis betreffen, einstellen zu können, sollte bundeseinheitlich geregelt werden.
Es ist darauf zu orientieren, den Besitz und Konsum bis zu einer Menge von mindestens 15 Gramm (Berliner Regelung) zu entkriminalisieren.
Zu 3) Vor dem Hintergrund der schrittweisen Lockerung des Cannabisverbots in Bezug auf dessen medizinische Anwendung hat die Arbeitsgemeinschaft für Cannabis in der Medizin (ACM) angeregt, eine Enquetekommission des Bundestags zu beauftragen, das Cannabisverbot zu überprüfen. Dieser Anregung schließt sich die DGS an.
Cannabis weist hinsichtlich seiner Suchtgefahr und seiner körperlichen wie psychischen Folgen ein geringeres Potential auf als andere illegale Substanzen (bspw. Opiate und Kokain) und legale Substanzen (Alkohol, Nikotin, aber auch verschreibungspflichtige Pharmaka). Eine moderne Suchtpolitik hat auf der Grundlage der „Vier Säulen“ (Prävention, Therapie, Repression und Schadensminderung) diesem Umstand Rechnung zu tragen.
Dabei sollen insbesondere die Regelungen zum Vergleich herangezogen werden, die in der Schweiz, in den Niederlanden, in Spanien, Italien, Portugal und Tschechien gelten.
Eine Aufklärungskampagne über die möglichen Auswirkungen des Cannabiskonsums auf die psychische und somatische Gesundheit (durch die BZgA, DHS und BÄK) und über den verantwortungsbewussten Umgang mit dieser Substanz sollte eine Neubewertung des Cannabisverbotes begleiten bzw. dieser folgen.
Zu 4) Seit Ende der 1990er Jahre hat sich die Erkenntnislage hinsichtlich des Gefahrenpotentials von Cannabis geändert – zeitlich folgend dem Aufkommen hochprozentiger Cannabisprodukte mit teils veränderter Zusammensetzung der Wirksubstanzen.
Erst das Verbot und die Maßnahmen gegen Einfuhr und Handel mit Cannabisprodukten aus traditionellen Anbauländern haben die Entwicklung befördert, Hanf verbrauchernah in Gewächshäusern mit bis zu drei Jahresernten anzubauen. Der deutlich höhere THC-Gehalt und die teils veränderte Zusammensetzung der Wirksubstanzen (THC/CBD u.a.) stehen in Verdacht, Ursache für die beobachtete Zunahme und den früheren Beginn psychotischer Störungen v.a. bei jugendlichen KonsumentInnen zu sein und möglicherweise auch den Abbau cerebraler Funktionen und Intelligenzleistungen zu fördern.
Abhängigkeitspotential sowie mentale und psychische Auswirkungen der „neuen“ Cannabissorten sind wissenschaftlich zu untersuchen.
Zum Antrag der Fraktion Die Linke:
1. Eine konsequente Entkriminalisierung setzt voraus, den Besitz einer bestimmten Menge an Cannabisprodukten aus der Strafbarkeit zu nehmen. Das kann auch – wie in der Schweiz derzeit debattiert – bedeuten, den Besitz und Konsum einer festzulegenden Menge lediglich als Ordnungswidrigkeit zu ahnden. Die Mindestmenge sollte – wie in Berlin – nicht unter 15 Gramm liegen.
Allerdings liegt der durchschnittliche Ertrag von fünf Pflanzen (siehe 2.) in günstigen Fällen bei ca. 200 Gramm wirksamer Pflanzenteile, was insofern im Antrag der Fraktion Die Linke widersprüchlich bleibt.
2. Der Eigenanbau in begrenzter Menge (z.B. 5 Pflanzen) stellt ebensowenig eine Gefahr für Personen als auch für die Gesellschaft dar wie der Eigenbrand von beispielsweise Apfelwein in Hessen. Dafür wäre zwingend die Herausnahme von Hanfsamen aus dem BtmG nötig.
3. Cannabis-Clubs können nach bisherigen Beobachtungen aus Spanien und Belgien dazu beitragen, einen geregelten und kontrollierten Zugang für erwachsene VerbraucherInnen zu ermöglichen. Andere Modelle könnten Coffee-Shops nach niederländischem Vorbild sein oder ein wissenschaftlich begleitetes Pilotprojekt zur geregelten Abgabe an Erwachsene.
Die Regelungen der Jugendschutzgesetze für die Abgabe von Tabakwaren und alkoholischen Getränken wären entsprechend auch für Cannabisprodukte zur Geltung zu bringen.
4. Ein Werbeverbot für Cannabisprodukte wäre in diesem Zusammenhang festzulegen.
5. Nichtraucherschutzgesetze wären für das Rauchen von Cannabis zu übernehmen.
6. Der Nachweis pharmakologisch aktiver Cannabismetaboliten schließt das Führen von Kraftfahrzeugen aus. Hier ist eine Regelung anzustreben, die einer 0,0-Promille Grenze bei Alkohol entspricht. Entsprechende zweifelsfreie Nachweismethoden für Verkehrspolizei und Verkehrsmedizin sind zu entwickeln.