„Drogen(1) sind Genussmittel, wenn sie mäßig und kontrolliert genossen werden. Drogen sind medizinisch indizierte Hilfsmittel zur Bewältigung psychischer Probleme, Drogen sind Betäubungsmittel zur Linderung von körperlichem Schmerz, Drogen sind Suchtmittel, wenn der Konsum außer Kontrolle gerät; Drogen sind Zahlungsmittel im Netzwerk der organisierten Kriminalität, Drogen sind Druckmittel zur Durchsetzung autoritärer ‚law and order‛-Strategien.“ – Günter Amendt
Der Rausch ist so alt wie die Menschheit (2)
Der Konsum von Genuss- und Rauschmitteln ist schon so alt wie die Menschheit selbst. Die sehr gut erhaltenen Höhlenzeichnungen in der Chauvet-Höhle (Südfrankreich) aus dem Jahr 30.000 vor unserer Zeitrechnung zeigen neben bekannten Tieren auch psychedelische („bewusstseinserweiternde“) Figuren. In den verwendeten Farben wurde das Manganoxid gefunden, welches giftig ist und Halluzinationen hervorrufen kann. ArchäologInnen deuten die Grotte als Ort schamanischer Kulte und Rituale. Ebenfalls aus der Steinzeit überliefert sind uns Hinweise auf den Konsum von Fliegenpilzen und anderen psychotropen („das Bewusstsein bewegenden“) Rauschpilzen, Cannabis, Tabak, Alkohol sowie Schlafmohn für sakrale („heilige“) und hedonistische („Lust erweckende“) Zwecke.
Cannabis als Heilmittel gegen Verstopfung und Rheuma wurde bereits im Arzneimittelbuch des chinesischen Kaisers Shen-Nung aus dem Jahr 2737 Jahre vor Christus empfohlen. Der Einsatz von Opium durch ÄrztInnen um 300 vor Christus wurde vom Griechen Theophphrast von Eresos beschrieben. Den Ruf als bester Arzt seiner Zeit (um 1500) verdankt Paracelsus seinem stark opiumhaltigen Laudanum. Genussmittel wie die Früchte des Kakaobaums wurden vermutlich schon 1500 v. Chr. von den Olmeken genutzt und von den Maya als Geschenk der Götter geehrt. Die Azteken stellten damit Xocóatl (aztekisch für „bitteres Wasser“) her – eine Mischung aus Wasser, Kakao, Vanille und Cayennepfeffer und der Vorläufer unserer heutigen Schokolade. Schamanen und Priester hüteten und verwalteten nicht nur die Rauschmittel, sondern entdeckten und erforschten auch neue. Die faszinierendste Entwicklung hierbei ist Ayahuasca. Diese Droge wird seit ca. 5000 Jahren von indigenen Volksgruppen in Südamerika als Heilmittel und sakrale Droge verwendet und ist ein Gebräu aus unterschiedlichen Pflanzen. Pharmakologisch ist sie eine Kombination aus der harmalinhaltigen Liane (Banisteriopsis caapi) und dem DMT-haltigen Chacrunablättern (Psychotria viridis). Alleine konsumiert sind die beiden Pflanzen wirkungslos, nur zusammen ergeben sie eine der stärksten bekannten halluzinogenen Drogen.
Drogen als Wirtschaftsgut und Kriegsgrund
Wir schreiben das Jahr 1820. Der Einkauf von Tee und Rohseide aus China führte in Europa zu einer spürbaren Silberverknappung. Als Reaktion verstärkte die East India Company den Opiumhandel mit China, innerhalb kurzer Zeit wendete sich der Silberstrom. Etwa 20 Jahre später wurden von Großbritannien 2000 Tonnen Opium nach China exportiert. Übertragen auf die Gesamtbevölkerung entspricht dies in etwa der Menge Cannabis, die in Deutschland aktuell verbraucht wird – kurz: Es wurde vor mehr als 150 Jahren soviel Opium in China geraucht, wie derzeit Cannabis in Deutschland. Beachtet man allerdings, dass damals 90 % der ChinesInnen BäuerInnen waren und sich der Handel und damit auch der Konsum stark an der Küste konzentrierte, kann man sich leicht vorstellen, welches Ausmaß dieser Konsum damals angenommen hatte. Der Gesamtexport aus Indien im Jahr 1880 betrug mit 6000 Tonnen so viel wie der mit Abstand größte Opiumanbauer Afghanistans heute produziert.
China versuchte am 24. März 1839, dem Opiumhandel und -konsum einen Riegel vorzuschieben. Der chinesische Sonderkommissar und Spitzenbeamte Lin Zexu ließ aufgrund eines kaiserlichen Edikts AusländerInnen den Opiumhandel in China verbieten. Zudem wurden 350 AusländerInnen interniert und nur gegen die Auslieferung von 1400 Tonnen Opium aus britischen Lagern freigelassen. Das Opium wurde später ins Meer gespült. Großbritannien reagierte mit der Entsendung eines Flottenverbandes, der „Genugtuung und Wiedergutmachung“ einfordern sollte. Im darauf folgenden Ersten Opiumkrieg wurde die einst unbeschränkte Hegemonialmacht Asiens China besiegt und am 29. August 1842 zur Unterzeichnung des ersten der sog. „Ungleichen Verträge“, dem Vertrag von Nanking, gezwungen. 1856 bis 1860 folgte der Zweite Opiumkrieg. Dieser endete mit dem Vertrag von Tianjin und der Pekinger Konvention, in der China u.a. dazu gezwungen wurde, christliche MissionarInnen ins Land zu lassen. Deren Berichte über den Opiummissbrauch in der chinesischen Bevölkerung, sowie später stattfindendes Engagement dagegen, führten Jahre später zu einem Ende des Handels und zu den ersten internationalen Opiumkonferenzen.
Die Ära der Prohibition
Am 16. Januar 1920 trat in den USA das Alkoholverbot in Kraft. In den folgenden Jahren sank der Alkoholkonsum, messbar beispielsweise anhand der Zahl der Todesfälle durch Leberzirrhosen. Gleichzeitig nahm die Kriminalität massiv zu, alleine von 1920 bis 1921 um 24 Prozent. Das organisierte Verbrechen, gesteuert von Personen wie Al Capone, beherrschte ganze Städte, die Korruption in der Polizei und Politik nahm unvorstellbare Ausmaße an. Die Mafia konnte sich in den Jahren der Alkoholprohibition in ganz Nordamerika ausdehnen. Die Verfügbarkeit von Alkohol wurde nicht eingeschränkt, sondern gerade in Städten wie New York City und Chicago gab es mitunter deutlich mehr „Speakeasys“, also getarnte Lokalitäten als Kneipen, vor der Prohibition. Der Konsum verlagerte sich von Wein und Bier zu Spirituosen, da diese einfacher zu schmuggeln waren – dieses Trinkverhalten blieb auch nach der Prohibition erhalten. Die Kosten für die versuchte Durchsetzung der Prohibition stiegen von Jahr zu Jahr, während auf der anderen Seite die alten Steuereinnahmen fehlten. Die ausufernde Kriminalität und die Unfähigkeit des Staates gegen den Willen seiner Bevölkerung das Verbot durchzusetzen, führten am 5. Dezember 1933 zu einem Ende der Prohibition des Alkohols.
Der Kampf gegen Opium in der westlichen Welt begann im Jahr 1875 in San Francisco. Ziel waren opiumrauchende, chinesische GastarbeiterInnen, die, nachdem sie die Eisenbahnlinien des Landes gebaut haben, zur „gelben Gefahr“ hochstilisiert wurden. 25 Jahre später wurde der Marihuana- und Kokainkonsum der Afroamerikaner zum Problem erklärt, die Drogenrepression in den kommenden Jahren war primär rassistisch geprägt. In Deutschland fiel der Beginn einer eigenständigen nationalen Drogenpolitik in die Zeit der Machtergreifung durch Hitler. Die Geburt der deutschen Drogenpolitik erfolgte aus dem Geist der Rassenhygiene. Das Rechtsgut der zu schützenden „Volksgesundheit“ prägt das Drogenrecht bis heute. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das Feindbild des tabakhandelnden Juden durch das des rauschgiftdealenden Südländers ersetzt, das Personal im Gesundheitsministerium und Bundeskriminalamt blieb das gleiche.
Der ideengeschichtliche Ursprung der heute existierenden weltenweiten Drogenprohibitionspolitik liegt in der Reformation und der Entstehung des Protestantismus und des Calvinismus. Während Martin Luther den Alkohol nicht grundsätzlich verurteilte, sondern nur Mäßigung forderte, verdammte Jean Calvin ihn und ließ in Genf Wirtshäuser schließen. Der Rausch war für ihn ein Laster, für SäuferInnen forderte er die Exkommunikation – in der damaligen Zeit ein gewaltiges Urteil. Die Alkoholprohibition der USA entsprang einem Zeitgeist des Puritanismus (eine calvinistische Reformbewegung). Andere AkteurInnen waren säkulare („weltliche“) und christliche Abstinenzorganisation wie die Guttempler, aber auch bürgerliche, feministische oder sozialistische Gruppen, RassistInnen aller Couleur mit ihrer Hetze von kulturfremden Drogen und einzelne Kräfte aus der Wirtschaft. Gerade die junge Frauenbewegung war in Abstinenzorganisationen wie dem „Christlichen Frauenbund für Abstinenz“ und in Sittlichkeitsvereinen sehr aktiv.
Drogen in der heutigen kapitalistischen Leistungsgesellschaft
Während bewusstseinsbewegende Substanzen in der Vergangenheit in Rituale eingebettet, nur lokal verfügbar waren oder der Zugang durch Schamanen, Priestern oder ÄrztInnen kontrolliert wurde, sind Drogen heute allgegenwärtig preiswert verfügbar. Wir trinken den Tag über Kaffee um wach und produktiv zu sein, abends beruhigen wir uns wieder durch Rotwein, Bier, Cannabis oder finden nur noch mit Schlafmitteln den Weg in Morpheus‘ Arme. Trinken wir zu viel oder sind wir krank, können 800 mg Ibuprofen zusammen mit 400 mg Koffein wieder arbeitstauglich machen. Sind wir schlecht drauf, bringen uns Prozac, Valium und Co. wieder ins emotionale Gleichgewicht – oder zumindest in die Gesellschaftsfähigkeit zurück. Stört das Kind im Unterricht, wird die Diagnose ADHS und eine große Packung Ritalin bereitgestellt – für solides Funktionieren in der Schule. Probleme im Bett? Oder einfach völlig verzehrte Vorstellungen? Viagra kann’s richten. Party on! Das ganze Wochenende, mit den Pillen eines Freundes/einer Freundin kein Problem! Und die Entwicklung geht weiter: In einer Pille Modafinil – eigentlich für NarkoleptikerInnen entwickelt – stecken 100 Milligramm reine Arbeitswut! Wir werden schneller, flexibler, mobiler und wann überholen wir uns dabei selbst? Ist eine Zukunft ohne Drogen überhaupt vorstellbar? Oder werden wir immer mehr davon abhängig, unseren Körper an die Erfordernisse der Gesellschaft anzupassen? Die Bereitschaft, immer so zu sein wie verlangt, wächst. Was ist dieser Trend mehr als die Ausbeutung seines Selbst, die wahre ICH AG Mensch?
Max Plenert
Fußnoten
(1) Mit Drogen, Rausch- und Genussmitteln sind alle Stoffe gemeint, die das Bewusstsein des Menschen verändern und primär dafür konsumiert werden
(2) Auch aus der Tierwelt gibt es zahlreiche Berichte – seien es besoffene Elche aufgrund des Konsums vergorener Äpfel, Kornkreise trampelnde opiumberauschte Kängurus oder Spinnen, die unter LSD-Einfluss perfekte Netze bauen.
Literaturtipps
* Handbuch der Rauschdrogen; Schmidbauer und vom Scheidt
* Rausch und Realität – Drogen im Kulturvergleich; Völger und von Welck
* Globalisierte Drogenpolitik; Tilmann Holzer
* Die Geburt der Drogenpolitik aus dem Geist der Rassenhygiene; Tilmann Holzer
* No Drugs, no future; Günther Amendt
Zuerst erschienen in: SPUNK, Mitgliederzeitung der Grünen Jugend