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Cannabis als Arznei für Kinder

"Das ist ein sehr schwieriger Weg"

Münster

Die Bundesregierung will Schmerzpatienten den Zugang zu Cannabis erleichtern. „Mein Ziel ist, dass in Zukunft mehr Menschen als bisher Cannabis als Medizin bekommen können", sagte die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler (CSU), vergangene Woche. Professor Gerd Kurlemann von der Uniklinik Münster wendet Cannabis schon an. Unser Redaktionsmitglied Stefan Werding hat ihn interviewt.

Stefan Werding

Cannabis ist so etwas wie ein Medikament der letzten Möglichkeit. Sie behandeln Kinder mit Epilepsie. In welchen Fällen setzen Sie Cannabis ein?

Professor Gerd Kurlemann: Wir haben das bisher bei drei Kindern erprobt, bei denen alle konventionellen Methoden erfolglos waren.

Wirkt Cannabis?

Kurlemann: Bei einem Jungen mit einer schweren Epilepsie ist die Zahl der Anfälle deutlich gesunken. Dem geht es jetzt gut, und er hat viel mehr Lebensqualität. Ein Mädchen war vorher überhaupt nicht behandelbar. Das hat wenige Tage nach der Behandlung mit Cannabis zum ersten Mal mit zwölf Jahren ein vernünftiges EEG gehabt (Anm. der Redaktion: ein Verfahren, mit dem die Hirnströme und die epileptische Aktivität im Gehirn gemessen werden). Sie war vier Wochen anfallsfrei. Leider wehrt sie sich oft gegen die Einnahme der Medizin. Immer, wenn es den Eltern gelingt, dem Kind das Cannabis zu geben, hat sie gute Tage. Wenn nicht, hat sie stundenlange Anfallsserien. In einem dritten Fall hat es überhaupt nicht gewirkt. Da mussten wir Cannabis nach vier Wochen wieder absetzen.

Stehen Sie mit einem Bein im Gefängnis, wenn Sie Cannabis verschreiben?

Kurlemann: Gar nicht. Wir führen ein aufklärendes Gespräch mit den Eltern. Wir erklären, dass die Methode aus Amerika stammt und auch in Deutschland oft in der Krebsbehandlung eingesetzt wird – etwa in der Endphase des Lebens für schwer kranke Menschen, in der Schmerztherapie, bei schwersten Bewegungsstörungen, bei Multipler Sklerose. Seit Hippokrates ist bekannt, dass die Hanfpflanze eine Substanz enthält, die heilende Wirkung entfalten kann. Wir sagen den Eltern aber auch ganz offen, dass wir nicht wissen, was wir möglicherweise im Kind verändern.

Sie klingen skeptisch. Hat das mit den möglichen Nebenwirkungen von Cannabis gerade bei Kindern zu tun?

Kurlemann: Ja, denn das ist völlig unbekannt. Es gibt noch keine europäische Studie darüber, ob Cannabis bei Kindern langfristig Schäden anrichtet. Man weiß aus Tierversuchen, dass das Cannabis möglicherweise die Funktion der Nervenzellen verändert und so die weitere Hirnreifung und die Ausbildung kognitiver Funktionen gestört werden kann. Das muss man abwägen: Möchte ich versuchen, ohne Anfälle möglichst gut durchs Leben zu gehen? Oder riskiere ich schwere Anfälle“ und dann auch wieder einen kognitiven Abbau? Das ist ein sehr schwerer Weg. Bei jedem Kind müssen wir neu entscheiden.

Muss man Sorge haben, dass das Kind bekifft ist, wenn es mit Cannabis behandelt wird?

Kurlemann: Ein Kind, bei dem das Verfahren überhaupt nicht funktioniert hat, wirkte auf uns in der Tat etwas high. Darum haben wir das abgesetzt.

In welcher Form bekommen die Kinder das Cannabis?

Kurlemann: Bei dem Medikament handelt es sich um eine ölige Lösung. Unsere Apotheke bereitet uns das in einer entsprechenden Dosis auf. Cannabis gibt es als Spray. Bei einem Kind lassen wir extra Zäpfchen herstellen, weil es das anders nicht einnehmen will.

Zahlen die Krankenkassen das Cannabis?

Kurlemann: Die Krankenkasse muss das genehmigen. Die Verordnung erfolgt nach dem Betäubungsmittelgesetz. Bei der Genehmigung der Kosten durch die Krankenkasse handelt es sich um ein aufwendiges Antragsverfahren. Ich muss mich da persönlich sehr einbringen und dem Sachbearbeiter genau erklären, warum wir das tun. „Cannabis für Kinder auf Rezept“ ist eine verwirrende Vorstellung. Aber dann genehmigt die Kasse Cannabis bei regelmäßiger Betreuung und Überprüfung der Wirkung für definierte Zeiträume. In der Regel läuft es dann auch problemlos.