Alternative Drogenpolitik

Die Verfassungsmäßigkeit der Drogenpolitik und die heutige Bedeutung des Cannabisurteils

Das Urteil des Bundesverfassungsgericht von 1994 (BVerfGE 90, 145) liefert der Politik weder einen Zwang noch einen Freifahrtschein immer weiter zu machen. Nach inzwischen 18 Jahren sind wichtige Grundannahmen auf denen das Urteil basiert überholt.

Jedes Gesetz in Deutschland muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Dies beinhaltet dass der Zweck des Gesetzes legitim ist und es muss geeignet sein das angestrebte Ziel zu erreichen. Die gewählte Maßnahme ist erforderlich, wenn es keine andere mildere Möglichkeit gibt das Ziel gleich gut oder besser zu erreichen. Schlußendlich müssen die entstehenden Nachteile in einem angemessenen Verhältnis zu den Nachteilen stehen. Insbesondere bei der Einschränkung von Grundrechten muss es eine genaue Abwägung geben. Der bloße Wunsch des Gesetzesgebers einen bestimmten Zustand („Drogenfreie Gesellschaft“) zu erreichen oder in einfachen Gesetzen formulierte Rechtsgüter („Schutz der Volksgesundheit“) dürfen keine verfassungsmäßigen Grundrechte aushebeln.

Jedes der vier Prinzipien muss sorgfältig geprüft werden, versagt das Gesetz bei einem Kriterien ist es hinfällig. Nicht nur Gesetze, sondern jede staatliche Maßnahme muss diesen Prinzipien genügen. Dies gilt beispielsweise bei Entscheidungen des BfArM bei Forschungsanträgen nach § 3 BtMG. Die Versagensgründe nach § 5 BtMG dürfen nicht beliebig restriktiv interpretiert werden, dies würde gegen die Forschungsfreiheit § 5 GG verstoßen.

Zweck und Ziel des geltenden Betäubungsmittelgesetzes ist (laut Regierungsvorlage des Betäubungsmittelgesetzes 1981, BTDrucks. 8/3551, S. 23 f. sowie § 5 Abs. 1 Satz 6 BtMG) der Schutz der menschlichen Gesundheit sowie eine Regelung des Verkehrs mit Betäubungsmitteln, um deren Sicherheit und Kontrolle zu gewährleisten, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicher zu stellen und den Missbrauch von Betäubungsmitteln sowie das Entstehen oder Erhalten einer Betäubungsmittelabhängigkeit zu verhindern.

Der heutige Stand der Wissenschaft legt nahe dass das BtMG nicht geeignet und erforderlich ist seine Ziele zu erreichen. Dies umfasst auch die „notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung“ beispielsweise bei der Substitution, der Schmerzmedizin mit Opioiden, dem Einsatz von Cannabis als Medizin sowie die Nutzung von Substanzen wie MDMA, LSD oder Zauberpilzen in der Psychotherapie. Die zahlreichen unbeabsichtigte Nebenwirkungen der Drogenpolitik, die harten Strafbestimmungen des BtMG sowie die massiven Eingriffe in Grundrechte erhebliche Zweifel an der Angemessenheit des heutigen Drogenverbots.

Die Verfassung gebietet eine objektive Prüfung der Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit der heutigen Drogenpolitik. Dies muss eine schonungslose Bilanz der Nebenwirkungen, insbesondere der Folgen der Kriminalisierung für Betroffene, Helfer ud die Gesellschaft beinhalten. Um zu prüfen  ob es keine anderen milderen Möglichkeiten gibt das Ziel gleich gut oder besser zu erreichen (Erforderlichkeit), müssen evidenzbasierte Szenarien für eine alternative Drogenpolitik entwickelt werden. Die Politik kann dann zwischen jenen Wegen die verfassungsmäßig erlaubt sind mit allen Vor- und Nachteilen wählen.

Die Mehrzahl der deutschen Strafrechtsprofessoren sieht es als zwingend diese heutige Verbotspolitik zu überprüfen. Deswegen haben sie sich in einer Resolution von 122 Strafrechtsprofessoren an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages gewandt. „Die Unterzeichnenden wollen den Gesetzgeber auf die unbeabsichtigten schädlichen Nebenwirkungen und Folgen der Kriminalisierung bestimmter Drogen aufmerksam machen. Sie wollen das Parlament anregen, bezüglich dieser Thematik seinem verfassungsrechtlichen Auftrag im Allgemeinen und den wissenschaftlich begründeten Prinzipien von Strafgesetzgebung und Kriminalpolitik im Besonderen durch die Einrichtung einer Enquête-Kommission Rechnung zu tragen. […]“

In diesem Zusammenhang sei auch auf die abweichende Meinung des Richters Sommer hingewiesen. Er sah im strafbewehrten Cannabisverbot schon damals einen Verstoß gegen das Übermaßverbot, trotz § 31a BtMG. Die Anwendung ds Strafrechtes bei den „abstrakten“ und fragwürdigen Gefährdungen insbesondere bei Besitzdelikten lehnte er ab. Er wies darauf hin dass die von Cannabisprodukten ausgehenden Gefahren faktisch geringer seien als vom Gesetzgeber bei der Verabschiedung des BtMGs angenommen.

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