Alternative Drogenpolitik

Eigengebrauch von Cannabis wirksam entkriminalisieren – nationale und internationale Drogenpolitik evaluieren

Die grüne Bundestagsfraktion hat am Dienstag, den 12.06.2012 den Antrag „Eigengebrauch von Cannabis wirksam entkriminalisieren – nationale und internationale Drogenpolitik evaluieren“ beschlossen. Am 14.6. wurde der Antrag in den Bundestag eingebracht, die Reden der Fraktionen werden in Kürze veröffentlicht. Insbesondere die Reaktion der SPD wird darüber entscheiden, ob es eine öffentliche Anhörung des Gesundheitsausschusses geben wird. Falls die SPD den Ankündigungen ihrer drogenpolitischen Sprecherin Graf folgt, verbessert dies auch die Chance dass eine kommende rot-grüne Bundesregierung ernsthafte Reformen in der Drogenpolitik angehen wird.

Die Grüne Bundestagsfraktion schreibt zu dem Antrag auf ihrer Homepage: „Der Krieg gegen die Drogen ist gescheitert. Selbst die Bundesregierung gibt zu, dass das derzeitige Drogenstrafrecht keinen Einfluss auf den Konsum hat. Stattdessen überwiegen die negativen Wirkungen. Menschen, die Cannabis nur zum Eigengebrauch besitzen, werden bei uns kriminalisiert und auf den Schwarzmarkt verwiesen. Dort geraten sie an Substanzen, die eine unklare Wirkstoffkonzentration haben oder mit gesundheitlich riskanten Zusätzen wie Blei oder Glas gestreckt sind. Das Bundesverfassungsgericht hatte schon 1994 eine Entkriminalisierung des Gelegenheitskonsums gefordert. Passiert ist bislang nicht viel. Auch wenn wir weitergehende Vorstellungen haben, wollen wir kurzfristig erreichen, dass der Eigengebrauch von der Strafbarkeit ausgenommen wird. Zusätzlich halten wir Sonderregelungen für den Eigenanbau für nötig. Wir fordern außerdem, die Folgen des derzeitigen Drogenregimes zu untersuchen und dem Gesetzgeber Vorschläge zu einer Reform des deutschen und internationalen Betäubungsmittelrechts zu unterbreiten.“

Hier der gesamte Antrag mit Begründung:

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1994 die Möglichkeit einer eingeschränkten Strafbarkeit des Erwerbs und Besitzes kleiner Mengen von Cannabisprodukten zum gelegentlichen Eigenverbrauch eingeräumt (BVerfGE 90, 145). In diesen Fällen solle wegen des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes von der Verfolgung entsprechender Straftaten abgesehen werden. Es wäre aber bedenklich, so das Bundesverfassungsgericht, wenn es auf der Grundlage des § 31a BtMG bei einer stark unterschiedlichen Einstellungspraxis in den verschiedenen Bundesländern bliebe – insbesondere bei der Bemessung der geringen Menge sowie bei der Behandlung von Wiederholungstätern. Das Max-Planck-Institut hat allerdings noch 2006 in einer Studie im Auftrag der Bundesregierung erhebliche Unterschiede der Verfolgungspraxis in den Bundesländern festgestellt. Sowohl bei Cannabisdelikten als auch bei Delikten mit sonstigen Betäubungsmitteln seien große Differenzen festzustellen. Insge- samt führe die unterschiedliche Einstellungspraxis dazu, dass die gegenwärtige Rechtswirklichkeit vor dem Hintergrund der Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einer im Wesentlichen gleichmäßigen Rechtsanwendungspraxis problematisch erscheint.

Bundesregierung und Gesetzgeber haben sowohl aus dem Urteil als auch den Untersuchungen des Max-Planck-Institutes keine hinreichenden Schlüsse gezogen. Die geltende Rechtslage führt in der Konsequenz bei Cannabis zu einer unverhältnismäßigen Kriminalisierung der Eigenverbraucherin bzw. des Eigenverbrauchers. So verzeichnete die polizeiliche Kriminalstatistik seit 2001 jährlich ca. 100.000 konsumnahe Delikte im Zusammenhang mit Cannabis.

Die derzeitige Rechtslage beruht auf inzwischen vielfach widerlegten Annahmen: Widerlegt ist, dass Cannabis eine aus der pharmakologischen Wirkung resultierende Schrittmacherfunktion für den Gebrauch härterer illegaler Drogen haben soll. Entkräftet ist auch die Behauptung, dass eine erhebliche Gesundheitsgefährdung durch den gelegentlichen oder regelmäßigen Konsum von Cannabis besteht. Die überwiegende Mehrzahl der Konsumentinnen und Konsumenten praktiziert keinen riskanten Gebrauch. Gleichwohl behindern die einschlägigen Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes eine glaubwürdige Prävention, wirksamen Verbraucher-/Jugendschutz und effektive Schadensminderung. Letzteres ist vor allem deswegen bedenklich, weil durch die bestehenden rechtlichen Bedingungen ein Schwarzmarkt entstanden ist, auf dem auch Produkte vertrieben werden, die einen erhöhten Wirkstoffgehalt haben oder mit Glas, Blei oder anderen Stoffen verunreinigt sind. Damit wird die gesundheitliche Gefährdung von Konsumentinnen und Konsumenten bewusst in Kauf genommen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert deshalb die Bundesregierung auf,

1) einen Gesetzentwurf zur Änderung des Betäubungsmittelgesetzes vorzulegen, durch den die Strafbarkeit entfällt, wenn die Person Cannabis ausschließlich zum Eigenverbrauch anbaut, herstellt, einführt, erwirbt, besitzt oder zur Ermöglichung des gleichzeitigen und gemeinsamen Konsums unentgeltlich abgibt;

2) eine Kommission mit Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Drogenhilfe und der Gesundheitspolitik sowie Kommunalen Spitzenverbänden und Ländern einzuberufen, die das geltende Betäubungsmittelrecht in Deutschland auch unter Berücksichtigung internationaler Erfahrungen transparent im Hinblick auf unerwünschte Wirkungen, Neben- und Gegenwirkungen und rechtliche, soziale und gesundheitliche Folgen evaluiert und Empfehlungen zu dessen Reform formuliert.

Begründung
Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichtes ist beim gelegentlichen Erwerb und Besitz geringer Mengen weicher Drogen zum Eigenkonsum ohne Fremdgefährdung eine staatliche Sanktion regelmäßig entbehrlich (BVerfGE 90, 145; vgl. Körner, Betäubungsmittelgesetz, 6. Auflage, § 31a, Rn. 25). Ausweislich einer im Auftrag der Bundesregierung 2006 veröffentlichten Studie des Max-Planck-Institutes für ausländisches und internationales Strafrecht werden die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes zu diesem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot in Deutschland jedoch nur unzureichend umgesetzt. Dies betrifft vor allem Wiederholungstäter und -täterinnen. Von einer einheitlichen Rechtsanwendung wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, könne lediglich bei knapp 20 Prozent aller Cannabisverfahren ausgegangen werden. In bestimmten Bundesländern würden Verfahren erheblich seltener eingestellt, auch dann wenn es sich um Delikte im Zusammenhang mit dem gelegentlichen Eigenverbrauch handelt (Schäfer, Paoli: Drogen und Strafverfolgung. Die Anwendung des § 31a BtMG und anderer Opportunitätsvorschriften auf Drogenkonsumdelikte. Berlin 2006). So wurden in Bayern nur 28 Prozent aller Konsumentenverfahren eingestellt, in Schleswig-Holstein jedoch 84,7 Prozent (vgl. Körner, Rn. 39).

Cannabis ist im Gegensatz zu anderen illegalen Substanzen eine Alltagsdroge. Im Jahre 2009 gaben 4,8 Prozent der Bevölkerung Deutschlands im Alter von 18 bis 64 Jahren an, in den letzten zwölf Monaten Cannabis konsumiert zu haben. In diesem Antrag werden nun bundeseinheitliche Regelungen vorgeschlagen, durch welche – wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert – diese Bevölkerungsgruppe wirksamer als bislang von Strafe befreit wird. Damit und durch geeignete Regelungen zum Anbau können die vom Bundesverfassungsgericht befürchteten eher nachteiligen gesundheitlichen und spezialpräventiven Ergebnisse der „Verhängung von Kriminalstrafe gegen Probierer und Gelegenheitskonsumenten kleiner Mengen von Cannabiskonsumenten“ vermieden werden (BVerfGE 90, 145,188).

Auf die erheblichen negativen Auswirkungen prohibitiv ausgerichteter nationaler und internationaler Regelungen haben zuletzt verschiedene Initiativen wie zum Beispiel die „Wiener Erklärung“ und die „Global Commission on Drug Policy“ hingewiesen. Letzterer gehören unter anderem der ehemalige UN-Generalsekretär Kofi Annan, der ehemalige Hohe Repräsentant der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Javier Solana sowie weitere ehemalige Präsidenten, Regierungschefs und Außenminister Brasiliens, Griechenlands, Kolumbiens, Mexikos, Norwegens, Schweiz sowie der USA an.

Die in diesem Antrag enthaltenen Vorschläge sind Mindestanforderungen an eine an zeitgemäßer, evidenzbasierter und wirksamer Prävention, Schadensminderung und der Selbstbestimmung der Konsumentinnen und Konsumenten orientierten Drogenpolitik. In eine ähnliche Richtung gingen auch Vorschläge der SPD-Bundestagsfraktion (Drs. 12/2739 und 13/6534). Die Vorschläge dieses Antrags können daher eine Grundlage bieten, um im politischen Raum eine Übereinkunft zu erzielen. Davon unbenommen halten die Antragsteller an ihren in der Drs. 16/11762 enthaltenen Vorschlägen insbesondere zur wissenschaftlich begleiteten Erprobung eines reguliertes Abgabemodells für Cannabisprodukte sowie zur Änderung internationaler Übereinkommen fest. Diese steht auch im Einklang mit den Empfehlungen der „Global Commission on Drug Policy“.

Zu 1)

Mit der angestrebten Änderung des Betäubungsmittelgesetzes soll eine neue Regelung in § 29 BtMG eingeführt werden, die dem Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG entsprechend den Wegfall der Strafbarkeit vorsieht, wenn die Konsumentin oder der Konsument Cannabis bis zu einer bestimmten Grenzmenge lediglich zum Eigenverbrauch anbaut, herstellt, einführt, ausführt, durchführt, erwirbt oder sich in sonstiger Weise verschafft oder besitzt. Zusätzlich wird von der Regelung auch die unentgeltliche Abgabe im Rahmen des gleichzeitigen und gemeinschaftlichen Konsums erfasst. Bei der Definition der Grenzmenge, unterhalb derer die Strafbarkeit entfällt, könnte im Hinblick auf Cannabis beispielsweise die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes herangezogen werden. Dieser ist 1996 bis zu einer Gewichtsmenge von 10 Gramm von einer geringen Menge ausgegangen (3 StR 245/75).

Da der mögliche Ertrag einer Cannabispflanze jedoch deutlich oberhalb dieser Grenze von 10 Gramm liegt, liefe die Vorschrift zur Entkriminalisierung auch des Anbaus ins Leere. Daher sind gesonderte Regelungen für den zum Eigenverbrauch straffreien Anbau einer bestimmten Anzahl von Pflanzen im privaten Bereich sowie für den entsprechenden Erwerb von Samen nötig.

Damit würde in der Konsequenz auch erreicht, dass die Konsumentinnen und Konsumenten für den Erwerb von Cannabisprodukten nicht auf den Schwarzmarkt angewiesen wären. Dies ist aus Gründen der Schadensminderung geboten, um sie vor den erheblichen gesundheitlichen Risiken des Schwarzmarkes mit verunreinigten und hinsichtlich ihres Wirkstoffgehaltes intransparenten Produkten zu schützen.

Ein Anstieg des Cannabisgebrauchs ist durch diese Regelung nicht zu erwarten. Es gibt keine Anhaltspunkte, die darauf hindeuten, dass eine liberale Drogenpolitik den Cannabisgebrauch begünstigt und eine repressivere Regelung diesen verringert. Darauf hat u.a. Reuband in einer Untersuchung der Auswirkungen der in den Bundesländern unterschiedlichen Sanktionspraxis bei Cannabisdelikten hingewiesen. Ob eine liberale Drogenpolitik oder eine repressive Drogenpolitik praktiziert werde, wirke sich auf der Nachfrageseite nicht aus (Karl-Heinz Reuband: Prävention durch Abschreckung? Drogenpolitik und Cannabisgebrauch im innerdeutschen Vergleich. In: Mann, Havemann-Reinecke, Gaßmann: Jugendliche und Suchtmittelkonsum. Freiburg 2009). Auch Erfahrungen in Portugal deuten nicht darauf hin, dass die dort im Jahre 2000 vollzogene Änderung des Betäubungsmittelrechts zu einem Anstieg insbesondere des Cannabiskonsums geführt hätte (vgl. House of Lords, European Union Committee: The EU Drugs Strategy.26th Report of Session 2010-2012. Rn. 157f).

Die gesundheitlichen Risiken des Cannabisgebrauchs sind abhängig davon, auf welche Weise und in welcher Frequenz Cannabis genutzt wird. Grundsätzlich ist bei inhalativer Einnahmeform das Risiko von Atemwegserkrankungen bei Cannabisrauchern – ähnlich wie Zigarettenrauchern – deutlich erhöht. Neuere Überblicksstudien (Thomasius 2007) zeigen, dass starker und dauerhafter Konsum bei bestimmten Menschen den Ausbruch von Psychosen begünstigen kann. Einer 2007 veröffentlichten wissenschaftlichen Untersuchung zufolge, hat Cannabis im Vergleich zu legalen psychoaktiven Substanzen wie Tabak oder Alkohol allerdings ein deutlich geringeres gesundheitliches Risikopotential (Nutt, King et al. Development of a rational scale to assess the harm of drugs of potential misuse. Lancet Vol. 369 S. 1047ff).

Eine von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Studie zeigt, dass etwa zwei Drittel des finanziellen Engagements des Staates in Bezug auf Drogen in repressive Maßnahmen fließen. Zehn Prozent der gesamten öffentlichen Ausgaben für die öffentliche Sicherheit und Ordnung haben einen Bezug zu illegalen Drogen. Nur ein geringer Teil der Mittel fließt hingegen in Prävention, Therapie- und Hilfsangebote (Pfeiffer-Gerschel, Wasem et.al. Schätzung der Ausgaben der öffentlichen Hand durch den Konsum illegaler Drogen in Deutschland. Das Gesundheitswesen 2010; 72: 886 – 894). Vor diesem Hintergrund könnte der in diesem Antrag enthaltene Vorschlag zur wirksamen Entkriminalisierung eine Entlastung der Strafverfolgungsbehörden bewirken. So eingesparte Mittel könnten der Prävention sowie Therapie- und Hilfsangeboten zufließen.

Zu 2)

Das Bundesverfassungsgericht hat 1994 auf die Pflicht des Gesetzgebers hingewiesen, die Auswirkungen des geltenden Rechts unter Einschluss der Erfahrungen des Auslandes zu beobachten und zu überprüfen. Auch dies ist bislang nur unzureichend geschehen. Neuere Entwicklungen wie die in der Schweiz angestrebte Bußgeldbewährung des Besitzes von zehn Gramm Cannabis sowie die Entkriminalisierung in Portugal oder Tschechien wurden bislang nicht einbezogen. Auch vergleichende Untersuchungen unterschiedlicher Regelungen und deren Auswirkungen auf den Konsum insbesondere in Deutschland oder den Niederlanden sind bislang nicht in die Bewertung der aktuellen Gesetzgebung eingeflossen.

Die Bundesregierung hat bei der Entwicklung ihrer im Februar 2012 vorgestellten Nationalen Strategie zur Drogen- und Suchtpolitik anscheinend vollständig darauf verzichtet, deutsche und internationale Untersuchungen und Aktivitäten wie beispielsweise den Report der „Global Commission on Drug Policy“ zu evaluieren bzw. in die Weiterentwicklung der deutschen Drogen- und Suchtpolitik einzubeziehen.

Mit der vorgeschlagenen, durch die Bundesregierung einzusetzenden Kommission soll, wie unter anderem von der „Global Commission on Drog Policy“ empfohlen, eine transparente und evidenzbasierte Überprüfung des geltenden Betäubungsmittelrechts vorgenommen werden. Dabei soll das geltende Recht insbesondere hinsichtlich gesundheitlicher und sozialer Auswirkungen sowie im Hinblick auf die Wirksamkeit und Effizienz von Hilfsangeboten evaluiert werden. Zusätzlich sind auch internationale Auswirkungen insbesondere auf Anbau- und Transitländer zu überprüfen. Auf dieser Grundlage soll die Kommission Empfehlungen an den Gesetzgeber zur Reform des nationalen Betäubungsmittelrechts insgesamt formulieren und zugleich Vorschläge zur Novellierung internationaler Übereinkommen unterbreiten.

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