In Genf fand vom 1. bis zum 3. Februar 2012 unter dem Titel „Patient oder Gefangener? Wege zu einer gleichwertigen Gesundheitsversorgung in Haft“ die 6. Europäische Konferenz zur Gesundheitsförderung in Haft statt.
Falls Sie die Erklänrung unterzeichnen wollen, senden Si bitte ein Mail (Angabe von Namen, Vornamen, Titel, berufliche Affiliation, Stadt, Land) an: Geneva.Declaration@hcuge.ch
Website der Erklärung: ump.hug-ge.ch
In der „Hauptstadt der Menschenrechte“ hatte Professor Jacques Bernheim den ersten von den Justizbehörden und der Gefängnisleitung unabhängigen medizinischen Dienst in Haft eingerichtet. Bernheim war ein unermüdlicher Verfechter der fundamentalen Rechte von Menschen in Haft und treibende Kraft grundlegender Regelwerke für den europäischen Strafvollzug, die auch vom Europarat, dem Europäischen Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT), dem Weltärztebund (World Medical Association/WMA), dem International Council of Nurses (ICN), der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) als maßgeblich anerkannt sind.
Diese Regeln und Empfehlungen basieren auf dem Humanitären Völkerrecht und den Grundrechten. Im Einzelnen handelt es sich um folgende sieben fundamentale Prinzipien:
1. Gefangene müssen jederzeit freien Zugang zur medizinischen Versorgung haben.
2. Die medizinische Versorgung muss derjenigen für nicht inhaftierte Personen entsprechen (Äquivalenzprinzip).
3. Jede medizinische Behandlung von Menschen in Haft setzt deren freiwillige und informierte Zustimmung voraus, wobei das Prinzip der Vertraulichkeit gilt (Berufsgeheimnis).
4. Menschen in Haft haben ein Recht auf gesundheitliche Aufklärung und auf Zugang zu den gängigen Mitteln zur Krankheitsverhütung.
5. Pflicht zur humanitären Unterstützung von besonders vulnerablen Gruppen.
6. Die mit der gesundheitlichen Versorgung von Menschen in Haft betrauten Personen müssen unabhängig von allen Ebenen der Justiz und des Strafvollzugs arbeiten.
7. Die mit der gesundheitlichen Versorgung von Menschen in Haft betrauten Personen müssen über die notwendigen professionellen Kompetenzen verfügen.
In der Mehrheit der europäischen Länder sind diese Prinzipien noch nicht in der Gesetzgebung verankert. Darüber hinaus stellen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der 6. Europäischen Konferenz zur Gesundheitsförderung in Haft fest, dass die Prinzipien in der Praxis nur unzureichend umgesetzt werden, und erinnern daran, dass mehrere europäische Länder wiederholt vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen unmenschlicher und entwürdigender Behandlung von Gefangenen verurteilt worden sind.
Angesichts der weltweiten Wirtschaftskrise und einer Tendenz in der Gesetzgebung, sicherheitsbezogenen Erwägungen Vorrang vor der Unterstützung für vulnerable (besonders verletzliche) Gruppen einzuräumen, bringen wir unsere wachsende Beunruhigung angesichts der sich verschlechternden Bedingungen im Strafvollzug – insbesondere was die gesundheitliche Versorgung angeht – zum Ausdruck.
Der Akt des Freiheitsentzuges zieht jedoch stets eine besondere Pflicht zum Schutz der Gesundheit von Inhaftierten nach sich. Wir appellieren deshalb dringend an die europäischen Staaten, die genannten sieben Prinzipien und die Europäischen Strafvollzugsgrundsätze in ihren jeweiligen Landesgesetzen zu verankern und ihre Achtung und Umsetzung sicherzustellen.
Insbesondere fordern wir nachdrücklich, dass die Rolle der Mitarbeitenden in der gesundheitlichen Versorgung geklärt werden muss. Hier ist vor allem sicherzustellen, dass sie allein im Interesse der Gesundheit ihrer Patienten handeln. Da es bei ihnen häufig zu Loyalitätskonflikten zwischen den Erwartungen und Ansprüchen von Patient(inn)en auf der einen und jenen des Vollzugspersonals oder der Direktionen auf der andern Seite kommt, muss allen Mitarbeitenden von medizinischen Diensten in Haft professionell unabhängiges Arbeiten ermöglicht und garantiert werden.
Um dieses Ziel einer professionellen Unabhängigkeit zu erreichen, schlagen wir folgende drei Schritte vor:
1. Vereinheitlichung der Ausbildung und des Informationsstandes insbesondere in den Feldern Recht und Medizinethik aller Mitarbeitenden im Justizvollzug, um:
Situationen identifizieren zu können, die mit Loyalitätskonflikten zu tun haben, und in solchen Situationen im Interesse der inhaftierten Patient(inn)en handeln
zu können, und um
Die Rollen und Aufgaben aller Berufsgruppen in Haft zu klären und den gegenseitigen Respekt zu fördern.
2. Verstärkter Einbezug der Kontrollbehörden, der Berufsverbände und von medizinethischen Kommissionen.
3. Klare Zuordnung des Personals zu den Bereichen Strafrecht, Strafvollzug und Gesundheitsversorgung, wobei der Medizinische Dienst der Gesundheitsbehörde zu unterstellen ist.