Studien zum Risiko einer Abhängigkeit bei einzelnen Drogen im Vergleich

Schadenspotenziale unterschiedlicher Drogen nach Drug harms in the UK: a multicriteria decision analysis, Nutt et al. 2007
Schadenspotenziale unterschiedlicher Drogen nach Drug harms in the UK: a multicriteria decision analysis, Nutt et al. 2007

In meinem Beitrag „Risiko einer Abhängigkeit bei unterschiedlichen Drogen“ stellte ich eine der Quelle von Dr. Carl Hart für seine These: „Die meisten Konsumenten von legalen und illegalen Drogen werden nicht abhängig.“ vor. Die Studie „Comparative Epidemiology of Dependence on Tobacco, Alcohol, Controlled Substances, and Inhalants: Basic Findings From the National Comorbidity Survey“ von James C. Anthony et al. aus dem Jahr 1994 basiert auf empirischen Daten aus Befragungen in den USA. Das Ergebnis der Studie zum Risiko einer Abhängigkeit bei den unterschiedlichen Drogen möchte ich vergleichen mit den Expertenmeinungen aus den Studien Development of a rational scale to assess the harm of drugs of potential misuse; Nutt et al. Lancet 2007 und Drug harms in the UK: a multicriteria decision analysis; Nutt et al. Lancet 2010. Grundlage für die beiden Veröffentlichungen von David Nutt sind die Befragungen von Experten nach der Delphi Methode bzw. der Multi Criteria Analysis.

Hier nochmal das sortierte Ergebnis von Anthony 1994:

Droge Häufigkeit von Abhängigkeit unter Nutzern
Tabak 31,9%
Heroin 23,1%
Kokain 16,7%
Alkohol 15,4%
Drogen außer Tabak und Alkohol 14,7%
Stimulanzien 11,2%
Anxiolytika 9,2%
Cannabis 9,1%
Schmerzmittel 7,5%
psychedelische Drogen 4,9%
Schnüffelstoffe 3,7%

Tabelle 1: Abhängigkeitsrisiko nach Anthony 1994

Bei Nutt 2007 setzt sich der Wert für die Abhängigkeit aus drei Einzelwerten zusammen: „Intensity of pleasure“, „Psychological dependence“ und „Physical dependence“. Der erste Werte wird wie folgt beschrieben: „Drug-induced pleasure has two components—the initial, rapid eff ect (colloquially known as the rush) and the euphoria that follows this, often extending over several hours (the high).“ Bei der Geschwindigkeit mit der der Effekt eintritt spielt natürlich die Konsumform eine wichtige Rolle. Während bei intravenösen Konsum oder beim Rauchen der Droge die Wirkung sehr schnell eintritt, brauchen Drogen bei einem oralen Gebrauch sehr viel länger bis eine Wirkung eintritt. Auch intranasaler Ausnahme kommt es zu einem schnellen Wirkungseintritt. Die drei einzelnen Werte konnten mit einen Wert von 0 bis 3 bewertet werden. Hier die Mittelwerte, die den Faktor „Abhängigkeit“ zusammenfassen, für die einzelnen bewerteten Substanzen:

Heroin 3
Cocaine 2,39
Tobacco 2,21
Street methadone 2,08
Barbiturates 2,01
Alcohol 1,93
Benzodiazepines 1,83
Amphetamine 1,67
Buprenorphine 1,64
Ketamine 1,54
Cannabis 1,51
4-MTA 1,3
Methylphenidate 1,25
LSD 1,23
GHB 1,19
Ecstasy 1,13
Khat 1,04
Solvents 1,01
Anabolic steroids 0,88
Alkyl nitrites 0,87

Tabelle 2: Abhängigkeitsrisiko nach Nutt 2007

In der Nutt Studie von 2010 gibt es nur noch einen Faktor für die Abhängigkeit, diesmal liegen die möglichen Werte zwischen 0 und 100. Er wird wie folgt definiert: „The extent to which a drug creates a propensity or urge to continue to use despite adverse consequences (ICD 10 or DSM IV)“. David Nutt und Kollege haben in ihrer Veröffentlich ebenfalls ihre Werte mit denen von Anthony vergleichen: „A comparison of the ICSD experts’ ratings on the dependence criterion with lifetime dependence reported in the US survey by Anthony and co-workers 14 showed a correlation of 0,95 for the five drugs—tobacco, alcohol, cannabis, cocaine, and heroin—that were investigated in both studies, showing the validity of the MCDA input scores for those substances.“

Crack 100
Tobacco 95
Heroin 80
Methylamphetamin 75
Cocaine 50
Benzodiazepines 50
Amphetamine 40
Methadone 40
Mephedrone 40
Alcohol 30
Cannabis 30
Ketamine 30
Buprenorphine 30
GHB 20
Khat 20
Anabolic Steroids 20
Ecstasy 20
Butane 10
LSD 0
Mushrooms 0

Tabelle 3: Abhängigkeitsrisiko nach Nutt 2010

Da in den drei Studien jeweils unterschiedliche Drogen verglichen wurden ist ein Vergleich nur zwischen den Substanzen möglich die in allen drei Untersuchungen betrachtet wurden. Während bei Anthony auch Stoffgruppen wie Anxiolytika erscheinen wurden bei Nutt nur einzelne Substanzen bewertet, einmal waren es aus der Gruppe der Anxiolytika nur die Benzodiazepine und einmal waren es Benzodiazepine sowie Barbiturate. Bei den Stimulanzien betrachtet Nutt 2010 Methamphetamin und Amphetamin, bei Nutt 2007 sind es Amphetamin, Methylphenidat und 4-MTA. Crack wird einmal explizit seperat von Kokain betrachtet, in den beiden anderen Untersuchungen erscheint nur Kokain, was auch Crack beinhaltet u.s.w. Daher habe ich zwei Vergeiche durchgeführt, jeweils mit unterschiedlichen Auswahl und Zusammenfassungen von einzelnen Drogen zu einer Gruppe durch Mittelwertbildung.

Nutt 2010 Nutt 2007 Anthony 1994
Tabak 95 Heroin 3 Tabak 31,9%
Heroin 80 Kokain 2,39 Heroin 23,1%
Kokain und Crack 75 Tabak 2,21 Kokain 16,7%
Stimulanzien wie (Meth-)Amphetamin 57,5 Alkohol 1,93 Alkohol 15,4%
Anxiolytika (Benzodiazepine) 50 Anxiolytika (Benzodiazepine und Barbiturate) 1,92 Stimulanzien 11,2%
Alkohol 30 Cannabis 1,51 Anxiolytika 9,2%
Cannabis 30 Stimulanzien wie Amphetamin, Methylphenidat und 4-MTA 1,28 Cannabis 9,1%
Schnüffelstoffe wie Butan 10 Ecstasy und LSD 1,18 psychedelische Drogen 4,9%
Ecstasy, LSD, Zauberpilze 6,7 Schnüffelstoffe wie Butan und Poppers 0,94 Schnüffelstoffe 3,7%

Tabelle 4: Vergleich Nummer 1 zwischen Anthony 1994, Nutt 2007 und Nutt 10

Nutt 2010 Nutt 2007 Anthony 1994
Tabak 95 Heroin 3 Tabak 31,9%
Heroin 80 Kokain 2,39 Heroin 23,1%
Kokain und Crack 75 Tabak 2,21 Kokain 16,7%
Benzodiazepine 50 Alkohol 1,93 Alkohol 15,4%
Amphetamine 40 Amphetamin 1,83 Stimulanzien 11,2%
Cannabis 30 Benzodiazepine 1,83 Anxiolytika 9,2%
Alkohol 30 Cannabis 1,51 Cannabis 9,1%
Schnüffelstoffe wie Butan 10 Ecstasy und LSD 1,18 psychedelische Drogen 4,9%
Ecstasy, LSD, Zauberpilze 6,7 Schnüffelstoffe wie Butan und Poppers 0,94 Schnüffelstoffe 3,7%

Tabelle 5: Vergleich Nummer 2 zwischen Anthony 1994, Nutt 2007 und Nutt 10

Bei beiden Vergleichen ist ein hohen Maß an Übereinstimmung in der Reihenfolge erkennbar. Der Wert für „Stimulanzien“ bei Nutt 2007 im Vergleich eins ist mit Methylphenidat und 4-MTA – neben Amphetamin – und ohne Methylamphetamin weicht – wenig überraschend – deutlich von der Bewertung in den anderen Untersuchungen ab. Überraschend fand ich den niedrigen Wert bei Alkohol bei Nutt 2010 im Vergleich zu Nutt 2007, Anthony 1994 und auch meiner persönlichen Einschätzung.

Nicht betrachtet wurden bei Nutt 2010 Methadone, Mephedrone, Ketamine, Buprenorphine, GHB, Khat sowie Anabolic Steroids, bei Nutt 2007 Street methadone, Buprenorphine, Ketamine, GHB, Khat sowie Anabolic steroids und bei Anthony 1994 Schmerzmittel (Opiate und Opioide).

Anzumerken sei zudem dass die einen Zahlen aus den USA stammen während die Forscher um David Nutt eine britisiche, ggf. auch eher europäische Perspektive besitzen. Der Umgang mit den einzelnen Drogen und ihren Gebrauchern sowie die Drogenmärkte unterscheiden sich zudem auch.

Und wie ich schon im vorigen Artikel schrieb: Zuletzt möchte ich noch anmerken dass eine Abhängigkeitsdiagnose nur bedingt ein Indikatior für ein ernstes Problem mit oder wegen Drogen ist. Gerade die 31,9% Raucher mit einer Abhängigkeit oder die ebenfalls weit verbreitete Abhängigkeit nach Koffein zeigen dass auch mit einer Abhämgigkeit ein gutes Lebens möglich ist. Ebenso kann einer Überdosis oder eine Strafanzeige auch nicht-abhängige Konsumenten schwer treffen.