Die empirische Grundlage der Bundesregierung für die präventive Wirkung des BtMG

Frank Tempel, der drogenpolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE fragte die Bundesregierung in der Kleinen Anfrage „Festschreiben der geringen Menge im Betäubungsmittelgesetz für Cannabisbesitz“:

  • Auf welchen empirischen Grundlagen begründet die Bundesregierung ihre These einer Korrelation zwischen Cannabisverbot und Cannabiskonsum?
  • Auf welchen empirischen Daten stützt die Bundesregierung ihre davon abweichende These, dass durch die Strafandrohung „die Verfügbarkeit und die Verbreitung der Substanz eingeschränkt wird“?

Die Antwort der Bundesregierung (Druchsache 17/6620) liegt inzwischen vor, sie geht nicht nur auf lächerliche Art und Weise an der Frage vorbei, sondern ist auch noch unpräzise bis mutwillig irreführend.
Sie lautet für beide Fragen: „Die präventive Wirkung der im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) enthaltenen Handlungsverbote zeigt sich jüngst etwa bei der Unterstellung neuer, in harmlos wirkenden Kräutermischungen enthaltener psychoaktiver Substanzen unter das Betäubungsmittelrecht. Dies führte zu einer Einschränkung der Verbreitung bei den jeweiligen Substanzen. Nach einer repräsentativen Befragung von Schülerinnen und Schüler ist der Konsum cannabinoidhaltiger Substanzen nach dem Verbot in 2009 zurückgegangen.“

Die Kurzusammenfassung meiner Analyse: Weil von 1500 Frankfurter Schülern, die nicht einmal die Hauptkonsumgruppe für Spice und Co. ausmachen, statt 28 nur noch 13 ein Kreuz bei „Spice“ auf einem Fragebogen machten, schlussfolgert die Bundesregierung: „Das Cannabisverbot wirkt.“

Die erwähnte Studie hatte ich bereits im Drogen- und Suchtbericht 2011 bemerkt, Zitat
4.4 Modellprojekte
4.4.1     Verbreitung und Gefährdung von cannabinoidhaltigen Räuchermischungen
Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) förderte von Juni 2009 bis Mai 2010 das Modellprojekt „Spice, Smoke, Sence & Co. – Cannabinoidhaltige Räuchermischungen: Konsum und Konsummotivation vor dem Hintergrund sich wandelnder Gesetzgebung“. Es untersuchte die quantitativen und qualitativen Veränderungen des Konsums von „Spice“ und vergleichbarer cannabinoidhaltiger Räuchermischungen vor und nach der BtMG-Unterstellung (siehe B 4.3.2). Die Studie umfasst drei Module: Eine repräsentative Stichprobe von 15- bis 18-jährigen Schülerinnen und Schülern in einer deutschen Großstadt vor und nach dem Verbot, Experteninterviews mit Mitarbeitern von Headshops bzw. Geschäften, in denen „Spice“ oder andere Räuchermischungen verkauft werden bzw. wurden, sowie qualitative Interviews mit Konsumierenden. Die Studie führte zu Erkenntnissen über die Kundenstruktur, das Ausmaß des Handels mit unterschiedlichen Produkten sowie die Konsummotivationen: 3 % der Schülerinnen und Schüler wiesen vor der Unterstellung (2008) einen aktuellen Konsum (30-Tage-Prävalenz) von cannabinoidhaltigen Substanzen auf, nach der Unterstellung (2009) nur noch 1 %. Daraus kann geschlossen werden, dass das Verbot und die weitgehend eingestellte Medienberichterstattung zum Rückgang der Verbreitung der Räuchermischungen geführt haben. Die Studie zeigt auch, dass äußerst wenige Jugendliche ohne vorherige Erfahrungen mit illegalen Drogen „Spice“-Produkte ausprobiert haben. Die Hauptzielgruppe dafür scheinen daher weniger die Jugendlichen zu sein, sondern eher Erwachsene jungen bis mittleren Alters. Im Rahmen eines EU-Projekts mit einer Kofinanzierung durch das BMG werden seit Anfang 2011 synthetische Cannabinoide, deren Wirkungen, eventuelle Nachweisverfahren sowie Präventionsmöglichkeiten untersucht. Das Universitätsklinikum Freiburg arbeitet dabei unter Mitwirkung des Bundeskriminalamtes mit weiteren Partnern in Deutschland sowie in Polen, Finnland, Österreich und der Schweiz zusammen. Der Abschlussbericht soll Ende 2013 vorliegen.

Hier wird schon das Verbot nicht alleine, sondern auch die „die weitgehend eingestellte Medienberichterstattung“ für den Konsumrückgang verantwortlich gemacht. Auch wird die Bedeutung von Jugendlichen als Zielgruppe in Frage gestellt, die Hauptgruppe seien „eher Erwachsene jungen bis mittleren Alters.“

Die erwähnten Studien finden sich auf der Website des Centre For Drug Research und der Bundesdrogenbeauftragten.

Der Knackpunkt ist der Satz „3 % der Schülerinnen und Schüler wiesen vor der Unterstellung (2008) einen aktuellen Konsum (30-Tage-Prävalenz) von cannabinoidhaltigen Substanzen auf, nach der Unterstellung (2009) nur noch 1 %.“ Dieser ist nicht ganz unwahr, aber massiv irreführend. Verboten wurden damals nur einige Cannabinoide und zwar jene die in der speziellen Mischung „Spice“ gefunden wurden. Synetische Cannabinoide gibt es allerdings Hunderte und schon direkt nach dem Verbot kamen neue Mischungen mit anderen, noch nicht verbotenen Inhaltsstoffen auf den Markt. Die 3% aus dem Jahr 2008 beziehen sich explizit auf Spice, während 2009 sowohl nach Spice als auch nach anderen „Räuchermischungen“ außer Spice gefragt wurde.

Konkret gaben 2008 3% n=28 der Jugendlichen an Spice innerhalb der letzten 30 Tage konsumiert zu haben, 2009 waren es nur noch 1% n=13. Es kamen allerdings 1% n=7 Personen dazu die andere „Räuchermischungen“ außer Spice konsumiert hatten. Befragt wurden jeweils ca. 1500 Jugendliche in Frankfurt.

Die Autoren der Studie schreiben zur Verbotswirkung: „Dieser Rückgang [von 3% auf 1%] ist nicht überraschend, da die Erhebung 2009 nach dem Verbot von Spice und seinen Inhaltsstoffen stattgefunden hat und explizit nach dem Konsum von Spice gefragt wurde. Vielmehr überrascht der Umstand, dass nach eigenen Angaben immerhin noch 1% in den letzten 30 Tagen vor der Befragung das illegale Produkt konsumiert hat.“ und „Immerhin acht der Befragten (32%) hatten allerdings auch noch nach der BtmG-Änderung mindestens eines der dann verbotenen Produkte konsumiert.“

Zudem zeigten sich seit dem Aufkommen von Spice und Co. ein regional  unterschiedliches Verhalten von Seiten der Polizei gegenüber Headshops. In einigen Regionen wurde frühzeitig bzw. wird weiter intensiv über das Arzneimittelgesetz interveniert, aus anderen Teilen der Bundesrepublik hört man so gut wie nichts. Das Verhalten der Headshops bei der Frage ob, wie lange bzw. frühzeitig und bis in welchen Grau-/Schwarzbereich hinein sie entsprechende Substanzen anbieten dürfte deswegen ebenfalls massiv schwanken. Der hier nicht unrelevante Internethandel dürfte kaum betroffen sein.

Fazit: Es gab unter den befragten Frankfurter Jugendlichen nach dem Verbot und nach dem Medienhype einen gewissen Rückgang in der 30 Tages-Prävalenz von der speziellen Droge Spice, allerdings wurde nach dem Verbot weiter Spice konsumiert obwohl es legale Alternativen gab, diese wurden zusätzlich konsumiert. Weder war die gewählte Altersgruppe für das Gesamtphänomen Spice und Co. am meisten relevant noch kann angesichts von regionalen Unterschieden das Ergebnis aus Frankfurt auf die gesamte Bundesrepublik verallgemeinert werden. Aussagekraft der Studie: gering beim Spiceverbot, ziemlich genau 0 bzgl. des Cannabisverbotes – in so fern kann man die Frage der LINKEN als von der Bundesregierung nicht beantwortet bezeichnen.